Nach umfassender Renovierung ist die Neue Nationalgalerie in Berlin-Mitte Ende April wiedereröffnet worden. Nach fünfzig Jahren musste die von Mies van der Rohe geschaffene Ikone moderner Architektur umfassend instandgesetzt werden. Es war keine leichte Aufgabe für den britischen Architekten David Chipperfield, aber nun ist sie vollbracht!
Das Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts ist eine Ikone der modernen Architektur: Das auf acht eleganten schwarzen Stützen ruhende Dach schützt einen stützenfreien Innenraum. Während die Haupthalle für Wechselausstellungen gedacht ist, dient das Untergeschoss für Dauerausstellungen, die einen Bezug zum herrlichen Skulpturengarten bilden können. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude war 2015 für fünf Jahre geschlossen worden und erstrahlt nun in neuem Glanz. Der quadratische Stahl-Glas-Pavillon ruht auf einer Granitterrasse. Der „Universalraum“ im Inneren wurde 1968, ein Jahr vor Mies’ Tod, fertiggestellt.
Durch Chipperfields Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie in Berlin von Ludwig Mies van der Rohe gibt es praktische und „intellektuelle“ Änderungen des Meisterwerks des modernen Museumsbaus. Zu den praktischen Teilen gehört die Erfüllung der Anforderungen an Barrierefreiheit, Kunst-Logistik, Klimatisierung, Licht und Sicherheit. Die Beton-Konstruktion des Podestgeschosses musste saniert und die Haustechnik ausgetauscht werden. Um den Rohbau freizulegen, musste ein Puzzle aus 35 000 Bauteilen zerlegt und neu zusammengesetzt werden. Die Anforderungen von Denkmalschutz und Museumsbetrieb widersprechen sich an jeder Ecke. Das Projekt stellte sich als 140 Millionen Euro-teure Herkulesaufgabe heraus. Denn die Physis ist bei Mies van der Rohes Bauten von entscheidender Bedeutung für die Wirkung. Mit dem Granit und Marmor, der Braun-Eiche, dem schwarzen Stahl, Bronze und Glas mussten die Architekten ebenso klug verfahren wie mit profaneren Details wie den abgehängten Decken, Sanitärräumen, der Raufasertapete im Direktorat, den Spannteppichböden und Vorhängen.
Spuren wurden akzeptiert und Schäden repariert, Zuluft-Gitter, Leuchten und Wandtelefone erhalten. Der Verlust an Substanz betraf Estriche, Putze, Rabitzdecken, Porenbeton-Vorsatzschalen, Wärmedämmungen und Dichtungen. Ein wichtiger Punkt war die Sanierung der Stahl-Glas-Fassade. Die Halteleisten waren korrodiert und die thermisch nicht getrennte Fassadenkonstruktion führte bei hoher Luftfeuchtigkeit und kaltem Wetter zu Kondensat. Die Entscheidung fiel auf eine Monoverglasung in einer thermisch nicht getrennten Konstruktion. Allerdings kommt nun doppelt so dickes Verbundsicherheitsglas (2 x 12 mm) aus China zum Einsatz. Der Anschluss des Daches an die Fassade wurde so modifiziert, dass sie sich bewegen kann: Kurze Stahlschwerter ersetzen den durchlaufenden Flachstahl. Dehnpfosten auf jeder Fassadenseite können Bewegungen aufnehmen. Kondensat wird in Rinnen gesammelt und abgeführt. Die Lüftungstechnik für die Luftbeschleierungs-Anlage der Glasfassaden verwendet die bauzeitlichen Zuluftgitter. Im Untergeschoss wurden Garderobe und Buchladen in die ehemaligen Depots verlegt. Die Lager liegen nun in einem unterirdischen Neubau unter der Podiumsterrasse. Das Museums-Café bleibt an seinem Platz und selbst die Automaten-Wand wurde wiederhergestellt. Eine neue Rampe erschließt die Terrasse. Die Ausstellungshalle erhielt wieder einen Vorhang. Es wurde eine Nachbildung der Teppichböden angefertigt. Die Fußbodenheizung wurde wiederhergestellt und mit einer Kühlfunktion ausgestattet.
Die Neue Nationalgalerie war Mies van der Rohes letzter Bau vor seinem Tod 1969 und auch sein einziger im Nachkriegsdeutschland. Sie war ein Höhe- und Schlusspunkt der Moderne. Die Perfektion dieses „Tempels“ erlaubt und verzeiht wenig. Die Eingriffe der Architekten waren treuhänderisch im Dienste des Denkmals und in der Verantwortung gegenüber Mies. Ihr Ausgangspunkt war das gealterte und veränderte Bauwerk. Denn „zeitlos modern“ sind die Tempelhalle auf ihrem Podium, das modulare Entwurfsprinzip und der Verzicht auf Funktionalität auch heute noch. Beim Meilenstein der 1960er-Jahre ging es um den Erhalt der Aura, nicht um die Wiedergewinnung eines Bildes. Die Instandsetzung akzeptierte Alterung und Gebrauchsspuren. Dass Mies dafür gewonnen werden konnte, in der geteilten Nicht-Mehr-Hauptstadt die Neue Nationalgalerie in Berlin zu bauen, war nicht selbstverständlich. Sein Stahl-Glas-Tempel geriet zu einem späten Meisterwerk. Es blieb Mies‘ einziges Werk in Europa nach seiner Emigration.
Chipperfield wollte nicht nur eine „respektvolle Sanierung“, er hat das Gebäude selbst als Kunstwerk aufgefasst und behandelt. „Ein Gebäude von solch unantastbarer Autorität zu zerlegen, war ein Privileg. Unsere Arbeit war von chirurgischer Natur. Die Sanierung stellte große Fragen: Die Moderne hatte eine Tendenz, neu sein zu wollen. Was passiert, wenn sie aufhört, neu zu sein? Eine Moderne, die ihr Versprechen ewiger Jugend bricht, deren Erzählung zur Zählung verkommt. Tempel wie Teppichboden, beides gehört zu diesem Denkmal.“ Mies‘ Tempel war zwar das erste Museum am Kulturforum, aber nicht das letzte: Ab 2026 wird das Ensemble durch das benachbarte „Museum des 20. Jahrhunderts“ ergänzt, das derzeit nach einem Entwurf von Herzog und de Meuron gebaut wird. Unterirdisch wird der Neubau mit der Neuen Nationalgalerie verbunden.