Die Wasserstadt an der Rummelsburger Bucht ist eines der größten Berliner Städtebauprojekte seit dem Fall der Mauer und steht nun vor der Vollendung. Mit dem Bebauungsplan „Ostkreuz“ soll das Gebiet der Wasserstadt an den gleichnamigen Bahnhof angeschlossen werden.
Der Stadtteil mit einer Fläche von insgesamt 131 Hektar umfasst sowohl das Lichtenberger Ufer mit seinen dunkelroten Backsteinblöcken als auch die Townhouses auf der Halbinsel Stralau. Was dem Ort bis heute fehlt, ist ein angemessener Zugang. Wer den Bahnhof Ostkreuz in Richtung Süden verlässt und die Bucht sucht, verliert sich auf verwilderten Brachflächen und verwüsteten Obdachlosencamps. Doch es stehen schon Bauzäune. Der israelische Investor Benjamin Kahn plant an dieser Stelle für 40 Millionen Euro ein Hotel, Luxuswohnungen und ein Aquarium. Bisher scheitert die Umsetzung an Protesten von Anwohnern.
Das Entwicklungsgebiet
Vor 25 Jahren, als die Wasserstadt als Entwicklungsgebiet festgelegt wurde, war die Situation in Berlin eine komplett andere. Die Bevölkerungsprognosen aus den 1990er Jahren sahen in Berlin im Jahr 2000 bis zu 3,8 Millionen Menschen leben. Für etwa 400 000 Zuzügler sollten in der ganzen Stadt Wohnungen gebaut werden, Kitas, Schulen, Grünflächen. Gleichzeitig lagen abgewickelte Industrieanlagen bereit für eine neue Nutzung. In großem Stil kaufte das Land Berlin sie auf, beplante sie, bebaute sie, verkaufte sie wieder zum höheren Preis. Es war das Modell der Entwicklungsmaßnahme. Mit den Verkaufserlösen sollte sich das Gesamtprojekt finanzieren. Die Rummelsburger Bucht stand dabei in einer Reihe mit anderen Entwicklungsgebieten, die auf dieselbe Art funktionierten: dem Alten Schlachthof an der Eldenaer Straße in Friedrichshain, Biesdorf-Süd in Marzahn-Hellersdorf, der Wasserstadt Oberhavel in Spandau und der Wissenschaftsstadt Adlershof.
Von der Haftanstalt zum Loft-Living
Auf der Stralauer Halbinsel ging es um die Umnutzung des alten Glaswerks, der Engelhardt-Brauerei, des Kosmetik-Kombinats. So hat aus den Räumen, in denen zu DDR-Zeiten Lippenstifte fabriziert wurden, die Streletzki-Gruppe exklusive Spreegold-Apartments gemacht. Auf der Rummelsburger Seite lagen ein NVA-Standort und der Gefängniskomplex – in dem im Januar 1990 auch Erich Honecker eine Nacht einsaß – sowie zwei Knabenhäuser, die letzten verbliebenen Gebäude eines alten Waisenhauses. Die historischen Gebäude sind die Perlen des neuen Wohnens in der Wasserstadt.
Daneben wurde vor allem neu gebaut. Anfangs war noch der Plan, das gesamte Rummelsburger Ufer mit verdichtetem Mietgeschosswohnungsbau zu überziehen. Ganz so, wie die Bauten in der Nähe zum Bahnhof Ostkreuz: Berliner Blöcke, die sich mit großen Innenhöfen zum Wasser hin öffnen. Als sich um die Jahrtausendwende aber abzeichnete, dass die Nachfrage bedeutend schwächer ausfiel als vorhergesagt und Berlins Einwohnerzahl bei nach wie vor 3,4 Millionen Einwohner stagnierte, kam es zu einer Umsteuerung der Planungen. Nicht mehr große Blöcke sollten entstehen, sondern kleinteilige Townhouses als Eigentumswohnungen, vermarktet als „Berlin-Terraces“. So bietet die Wasserstadt hinter der Kita „Hoppetosse“ (Planer nannten sie wegen der geneigten Fassaden die „schräge Kita“) heute eines der abwechslungsreichsten Stadtbilder Berlins. Am stadtparkartigen Medaillonplatz in Rummelsburg treffen gleich vier verschiedene Terrace-Haustypen aufeinander.
Ursprung der Berliner Baugruppen
Stralau wurde mit Stadtvillen bebaut in langen Häuserzeilen, die sich quer über die Halbinsel erstrecken. Zwischen ihnen führen Straßen direkt vom Rummelsburger See zum Treptower Hafen, also von einem Ufer zum anderen. Im Zuge der Umsteuerung wurden die Townhouses auch in den noch unbebauten Zeilengrundstücken errichtet, sodass eine moderne Reihenhausarchitektur auch auf der Halbinsel entstanden ist. Als erfolgreiches und zunächst ungeplantes Nebenprodukt des Wasserstadtprojekts erwies sich dabei die Arbeit in Baugruppen. Hatte sie anfangs experimentellen Charakter, entwickelte sich später das Berliner Baugruppenmodell daraus.
Wohnraum schaffen, Architektur neu erfinden – die Wasserstadt bringt darüber hinaus eine dritte Qualität mit: das unvergleichliche Naherholungspotenzial. Denn was wäre die Wasserstadt ohne den Zugang zum Wasser? Auf Stralau war das Ufer früher nur an der Erinnerungsstätte Karl Marx erreichbar (Marx wohnte 1837 einige Monate in Stralau). Der Bezirk Lichtenberg hatte überhaupt keinen Zugang zur Spree. Der erst durch die Wasserstadt geschaffene durchgängige Uferweg fügt sich in ein zusammenhängendes Uferpanorama ein, das über die Bezirke Lichtenberg und Friedrichshain sogar hinausreicht. Ab der Fährstation am Plänterwald bis kurz vor das Heizkraftwerk Klingenberg kann durchweg am Ufer entlang spaziert, geradelt oder gejoggt werden. Das Heizkraftwerk mit seinen zwei Schornsteinen macht sich aus der Entfernung gut als Landmarke. Der neun Kilometer lange Weg führt um den Treptower Hafen, die Halbinsel Stralau und auch die ganze Rummelsburger Bucht herum. Am Ende liegen eine Kletterhalle und das Restaurant Hafenküche Berlin.
Zentrum am See
Es sind die Nähe zur Natur und die aufgelockerte Bebauung, die den Charakter der Wasserstadt bisher prägen. Was fehlt, ist ihr Zentrum. Am Ostkreuz war es geplant, zwischen Bahnhof und Bucht. Weil sich die Bauarbeiten der Deutschen Bahn aber hinzogen, verzögerte sich auch die Entwicklung zwischen Kynaststraße und Glasbläserallee (Stralau) sowie zwischen Paul und Paula Ufer und der Hauptstraße (Rummelsburg). Mit dem 16 Jahre alten Bebauungsplan „Ostkreuz“ soll jetzt das Zentrum geschaffen werden. Mit ihm soll auch das Aquarium von Benjamin Kahn gesichert werden. Die BVV Lichtenberg wollte den B-Plan im Dezember beschließen, das Thema wurde aber vertagt. Bürgerproteste fordern bezahlbare Wohnungen und mehr soziale Infrastruktur, z. B. ein Schulgebäude.
Wann immer und in welcher Weise das umstrittene Zentrum kommt, das Umfeld der Wasserstadt verändert sich rasant. Osthafen, Elsenbrücke, Spreepark (siehe Grafik nächste Seite) – Berlin bleibt eine ewige Baustelle, auch wenn die Wasserstadt längst kein Entwicklungsgebiet mehr ist. 2008 hat der Senat sie aus dem Entwicklungsrecht entlassen.
Projekte im Überblick
Ostkreuz
Der Meeresbiologe Benjamin Kahn investiert an der Rummelsburger Bucht 40 Millionen Euro in ein Aqua-Projekt. Der Erlebnispark „Coral World“ soll u. a. über die Rummelsburger Bucht als Lebensort für die Tier- und Pflanzenwelt aufklären. Außerdem sollen 500 Wohnungen entstehen, und die Streletzki-Gruppe plant ein Gebäude mit Markt, Dienstleistungen und Ärztehaus. Die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg wollte den 2002 aufgestellten B-Plan im Dezember beschließen, hat aber das Thema vertagt. Der Grund: Bürger protestieren gegen das Projekt und für Sozialwohnungen, eine Schule und den Erhalt der Freiräume. Am Paul und Paula Ufer liegt noch ein alter Bolzplatz. Obdachlose campen, solange sie noch können. Das Plangebiet ist die Schnittstelle zwischen Stralau und Rummelsburg, Bahnhof Ostkreuz und Bucht.
Victoriastadt
Nicht nur Bauen ist Stadtentwicklung. In der Berliner Innenstadt setzen die Bezirke immer mehr Milieuschutzgebiete fest, um die Verdrängung von Bewohnern an den Stadtrand zu verhindern. Für die Victoriastadt, auch Kaskelkiez genannt, wurde per Gutachten ein erhebliches Aufwertungspotenzial festgestellt. So genießt der Stadtteil im Osten vom Ostkreuz seit 2017 Milieuschutz. Luxussanierungen können vom Bezirk untersagt werden, und Mietwohnungen können nicht mehr ohne Weiteres in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. In Lichtenberg gibt es zusammen mit dem benachbarten Weitlingkiez (seit 2018) insgesamt zwei Milieuschutzgebiete dieser Art, in Gesamt-Berlin sind es 56.
Elsenbrücke
Die Elsenbrücke von 1968 hat Risse bekommen und muss abgerissen werden (2020). Allerdings geschieht dies in Etappen und mit einer Behelfsbrücke als Zwischenlösung für acht Jahre. Im Zuge der A100-Verlängerung würde der 17. Bauabschnitt von Treptow nach Friedrichshain über die Spree führen. Die Elsenbrücke würde Teil des Autobahnrings. Die Straßenbahn-Linie M10 soll von der Warschauer Straße zum Hermannplatz verlängert werden. Eine Variante der Trassenführung führt über die Elsenbrücke.
Agromex-Tower
Zwischen den Treptowers und Twintowers in der Fanny-Zobel-Straße baut die Agromex GmbH & Co. KG drei neue Hochhäuser. Zwei Wohntürme (110 und 100 Meter) und ein Apartmenthotel (64 Meter) machen die Silhouette am südlichen Ufer des Osthafens komplett. Architekt ist Justus Pysall. Die Bebauung mit drei Punkthochhäusern soll auch gewährleisten, dass die Sicht bei den bereits bestehenden Wohnhäusern nicht an Qualität verliert. Geplant ist auch eine große Grün- und Spielfläche, die öffentlich zugänglich und mit dem Spreeufer verbunden ist.
Wave – Wohnen am Wasser
Im Frühling werden sie bezugsfertig: 161 Eigentumswohungen mit Blick auf die Molecule Men im Osthafen. Nach der Devise „Zwei Häuser, zwei Wellen“ entwarfen Graft Architekten für eine der letzten Baulücken an der Stralauer Allee ein exklusives Gebäudeensemble.
Museumshafen
Mindestens 15 große und kleine fahrtaugliche Museumsschiffe finden im Osthafen ihren neuen Liegeplatz. Der Historische Hafen Berlin gewann 2012 ein Interessenbekundungverfahren des Wasser- und Schifffahrtsamts Berlin mit dem Konzept für einen Museumshafen. Es entsteht eine Ausstellungsplattform auf dem Wasser mit den Dauerausstellungen „Berlin ist aus dem Kahn erbaut“ und „Mauer auf dem Wasser“, direkt am Osthafensteg, der als ehemaliger Grenzsteg und Zeitzeuge der Teilung Berlins in die Nutzung integriert wird. Die Stiftung Museumshafen hat 2017 den Vertrag mit dem Bezirk Treptow-Köpenick als Träger des Projekts unterzeichnet; Fördermittel sind beantragt. Schon heute informiert der Historische Hafen an der Mühlendammschleuse in Mitte über die Geschichte der Binnenschifffahrt in Berlin-Brandenburg.
Spreepark
Der Spreepark wird zu einem neuen öffentlichen Park umgestaltet, bei dem Kunst, Kultur und Natur eine Verbindung eingehen sollen. Die hinterlassenen Fahrgeschäfte des Spreeparks sollen Raum für Künstlerinstallationen bieten, gleichzeitig sind sie die Grundlage für das neue Wegenetz auf dem Gelände. Künstler sollen in Residenzen im renovierten Eierhäuschen wohnen, das Eierhäuschen selbst soll einen Spreeanleger bekommen, von dem eine Fähre zum Funkhaus Nalepastraße verkehrt. Und eine Parkeisenbahn fährt vom Eierhäuschen zum S-Bahnhof Treptower Park. Der neue Infopavillon stellt vor Ort seit 2018 die Rahmenplanung vor, ab 30. März 2019 ist er wieder geöffnet.
B:HUB
Auf der Halbinsel Stralau zwischen dem ehemaligen Glaswerk und der S-Bahntrasse baut die Streletzki-Gruppe ein neues Bürogebäude. Mit 300 Metern Länge und zehn Geschossen Höhe wird das B:HUB die Wasserstadt-Wohnhäuser Stralaus vom Bahn- und Straßenlärm abschotten. Stralau wird noch ruhiger, aber am B:HUB auch etwas busy, denn 3 000 Arbeitsplätze kommen im Gebäude unter: für Startups, etablierte Firmen und Co-Working-Spaces. Die Fertigstellung des von den Architekten Barkow Leibinger entworfenen Baus ist für 2020 geplant.
Pilotanlage für sauberes Spreewasser
Das ursprünglich unter dem Namen „Spree 2011“ gestartete Projekt des Ingenieurs Ralf Steeg (Buch „Der Wassermann“ von Sandra Prechtel, 2015) ist ein modulares Rückhaltebecken für Regenwasser. Es schwimmt unter Wasser. Bei Starkregen nimmt es vorübergehend überlaufendes Mischwasser aus der Kanalisation auf, das sonst in die Spree geleitet würde. Das Baukastenprinzip ermöglicht eine schnelle Errichtung, und die Fläche über Wasser kann genutzt werden; die Anlage im Osthafen ist zum Beispiel bepflanzt. Doch auch Rad- und Fußwege könnten grundsätzlich auch auf dem Wasser gebaut werden, verbunden mit einem ökologischen Zweck.
Stadtautobahn
Noch bis 2022 wird die A100 von Neukölln zum Treptower Park ausgebaut. Die 3,2 Kilometer lange Strecke soll die Anbindung der östlichen Bezirke wie Friedrichshain und Lichtenberg an die westliche Innenstadt und an die A113 (und damit an den BER) verbessern.