Im Zentrum gibt es noch viel zu tun

Interview mit Berlins Baudirektorin Petra Kahlfeldt

„Wir bauen Verkehrsfläche zurück. Darin steckt die Frage: Wem gehört die Stadt? Nur den Autofahrern oder auch den Fußgängern? Es ist unser Stadtzentrum: Da sollen Menschen 
wohnen können.“

Dauerbaustelle Molkenmarkt: Der einstige Stadtplatz als Ort der Stadtgründung Berlins soll verkehsberuhigt und mit einer neuen Bebauung zu einem lebendigen Viertel mit einer Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur entwickeln werden

Petra Kahlfeldt ist seit drei Jahren Baudirektorin im Berliner Senat. Mit ihrem Amtsantritt hatte sie zunächst für Aufsehen gesorgt. Die Architektin hat das Ruder in einer Stadt übernommen, die städtebaulich vor großen Herausforderungen steht. Im Interview spricht sie über die Umgestaltung des Molkenmarkts und über bauliche Defizite in der Mitte der Stadt

Ihre Ernennung zur Senatsbaudirektorin im Dezember 2021 hat in der deutschen Architekturszene für Protest gesorgt. Es ging den Kritikern um fehlende Transparenz und es wurde behauptet, dass es Ihnen an Erfahrung fehle. Wie fühlte sich das damals für Sie an?

Überhaupt nicht gut, wenn man als Architektin in diese Position kommt. Das war enttäuschend. Ich habe mich damit beschäftigt. Kritisiert wurde, dass die Senatsbaudirektorin öffentlich ausgewählt werden soll, aber so funktionieren Regierungsbildungen nicht. Es hat mich getroffen und die Position auch geschwächt. Ich stehe für qualitätsvolle Architektur und für die Instrumentarien ein wie Wettbewerbe und Werkstatt-Verfahren mit der Stadtgesellschaft und Fachleuten. Die Kritik war kontraproduktiv. Im Jahr 2021 war die Wahl und die Koalition mit den Linken und den Grünen konfliktträchtiger. Nach der Wahlwiederholung mit der CDU laufen die Gespräche insgesamt sachlicher.

In der Urbanisierung eines Verkehrsraums, wie es die Planung des Molkenmarktes vorsieht, kann man etwas Linkes sehen?

Ich sehe keinen Zielkonflikt. Wir bauen Verkehrsfläche zurück. Darin steckt die Frage: Wem gehört die Stadt? Nur den Autofahrern oder auch den Fußgängern. Es ist unser Stadtzentrum: Da sollen Menschen wohnen können. Es geht um drei große neue Stadtblöcke und eine Verengung der Straßenräume.

Sehen Sie nicht einen Widerspruch darin, günstig und schnell Wohnungsbau schaffen zu müssen und einen mittelalterlichen Stadtgrundriss hervortreten lassen zu wollen, wie es im Planwerk Innenstadt Ihres Vor-Vorgängers vorgesehen ist?

Der Körnigkeit und Charakteristik Berlins folgend, wird es eine Blockrandbebauung geben. Leider gibt es laute Straßen, an denen Wohnbebauung nicht möglich ist. Dort gibt es eine gemischte Stadt mit Geschäftshäusern und einem Theater. Der ruhigere Innenbereich ist für Wohnungen vorgesehen. Zu 50 Prozent wird geförderter Wohnungsbau angeboten. Dafür haben zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften Grundstücke vom Land Berlin bekommen. Es ist eine Mischkalkulation. Irgendwo muss das Geld auch verdient werden. Die Geschäftshäuser sollen die günstigeren  Mieten querfinanzieren. 
 

Gegenwärtig dominieren Fahrspuren und großflächige Kreuzungen die Berliner Mitte. Die historischen Spuren aus den Ursprüngen der Stadt liegen auf dem Asphalt
Das künftige Stadtbild: Flächen werden gewonnen durch die Verlegung der Straßen. Ein neues Quartier soll entstehen

Können die mittelalterlichen Grundrisse in ihrer komplexen Geometrie überhaupt die heutigen Anforderungen bedienen, bei denen es heute um Effizienz geht?

Die Häuser sollen adäquat zu den Straßen sein, an denen sie stehen. Gewerbeflächen werden die Stadträume auf Augenhöhe beleben. Es werden acht archäologische Stätten in die Keller integriert. Bald beginnen wir mit den ersten Wettbewerben. Wir sind zuversichtlich.

Wollen Sie mit Ihrer Arbeit als Senatsbaudirektorin am Erfolg des Molkenmarkts gemessen werden?

Ja, das ist mein Anspruch. Die Prozesse laufen schon ewig, der Bebauungsplan wurde schon 2016 und ohne Wettbewerb festgelegt. Die Befürchtungen bezogen sich auf Privatisierungen und Standards, die sich normale Berliner nicht mehr leisten können. Der Einbringungsvertrag nahm schon die Spekulation im Vorfeld, aber auch die städtischen Baugesellschaften müssen wirtschaftlich bauen. Bei den kleinteiligen Stadthäusern können die Mieten nicht niedrig sein, aber mit dem „architektonischen Besteckkasten“ kann man dieses Problem lösen, deswegen planen wir keine reinen Townhouses, sondern Geschosswohnungsbau. Die Wohnungen werden unterschiedlich groß sein und verschiedene Wohnformen ermöglichen.

Die Altstadt in Frankfurt am Main wurde mit viel Aufwand rekonstruiert.
Kann sie ein Vorbild für den Molkenmarkt in Berlin sein?

Ich war in der Altstadtkommission in Frankfurt mit dabei. Die Finanzstadt hat sich auf ihre Geschichte besonnen. Ich war stolz, dass das so in Angriff genommen wurde. Ich war nicht nur sechs Jahre lang in Frankfurt am Main, sondern auch in Lübeck dabei, wo das Gründungsviertel neu bebaut wurde. Dort wurden die Grundstücke verkauft, nachdem eine Konzeptvergabe durchgeführt wurde, aber erst nach Erteilung der Baugenehmigungen. In Potsdam bekennt man sich zu einer europäischen Innenstadt-Architektur. Jede Stadt findet einen eigenen Weg, um ihr historisches Erbe zu bewahren.

Wenn der Molkenmarkt ästhetisch, politisch und ökonomisch eine Erfolgsgeschichte würde, wäre das die Blaupause für die Bebauung der Freiflächen nördlich vom Roten Rathaus wie dem Marx-Engels-Forum?

Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass wir diese Flächen mit einer guten Aufenthaltsqualität freihalten. Dafür haben wir eine sehr gute Gestaltung gefunden. Sie verknüpft die Räume nördlich und südlich. Es wird ein Rathaus-Vorplatz gestaltet. Spätere Generationen sollen entscheiden, ob das Gebiet urbanisiert werden soll. Das Thema ist streitbar und ideologisch. Wir lassen es liegen für nachfolgende Generationen.

Das Planwerk Innenstadt von 1999 unter dem damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist juristisch nicht mehr gültig, aber intellektuell schon?

Durch den Senatsbeschluss ist für unser Tun das „Planwerk Innere Stadt“ weiterhin verbindlich.

Wo genau sind Anknüpfungspunkte zum Werk von Hans Stimmann und Ihrer Vorgängerin Regula Lüscher, die es wert sind, weiterverfolgt oder in ihr Gegenteil verkehrt zu werden?

Ich mache es an einem Beispiel fest: An der Urania und am Lützowplatz sollte der breite Verkehrsraum, der für eine Hochautobahn gedacht war, verschmälert werden. Im „Planwerk Innere Stadt“ sieht es genauso aus. Seit 2018 gab es Erneuerungsdruck, weil die Gebäude aus den 60er-Jahren schadstoffbelastet und ihre Haustechnik veraltet ist. Wir haben ein Werkstattverfahren für die Gebäude an der Kurfürsten- und Kleiststraße durchgeführt. Die Verkehrsverwaltung war mit im Boot und hat gesagt, dass sie für den Straßenumbau in den nächsten Jahren keine Kapazitäten hat. Insofern braucht Stadtentwicklung einen langen Atem.

Ansicht vom Molkenmarkt um 1780
Molkenmarkt 1902
Der Molkenmarkt war ehemals ein zentraler Stadtplatz mit dichter Bebauung und engen Straßen. Davon blieb im Laufe seiner Geschichte wenig erhalten. Durch die Kriegszerstörungen und den Bau der Grunerstraße ging der innerstädtische Charme verloren
Im Jahr 2019 haben die archäologischen Großgrabungen am Molkenmarkt begonnen, bei denen historische Spuren freigelegt wurden

Weil die Straße angeblich nicht verlegt werden kann, behalten Sie den 60er-Jahre-Stadtgrundriss nun einfach bei?

Die Gebäude werden angemessen zum Straßenraum geformt. Es wurde die Geschossigkeit erhöht, um eine bessere Raumproportion zu gewinnen. Der breite Grünstreifen ist stadtökologisch wertvoll. Die Gebäude werden sieben- bis neun-geschossig sein. Das „Hotel President“ wird abgerissen und das neue „Motel One“ bildet eine Straßenkante durch eine Blockrandbebauung. Die Urania möchte stärker in die Stadt hinein wirken. Es wurden Pläne für ein Gebäude mit mehr Geschossen ausgearbeitet. Das Gebäude der Landeszentrale für Politische Bildung wird ebenfalls abgerissen. Wir machen unseren Frieden mit diesen Stadträumen.

In Mitte gibt es auch ein Beispiel für die neue Randbebauung einer prominenten Straße: Die Breite Straße.

Sie endet an der Südfassade des Humboldt-Forums, am Schlossplatz. Der ist zwar fertiggestellt worden, aber wir planen ihn um. Um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen und damit man in der Sonne dort nicht grillt, soll es Schatten geben. Das ist die Piazza Navona Berlins! Schattenspendende Bäume und ein Brunnen. Die Breite Straße hat im Westen noch große Lücken. Jetzt läuft ein Hochbau-Wettbewerb, bei dem sich 250 Architekten beworben haben. Wir versprechen uns tolle Antworten an einer der schönsten Straße Berlins. Die angrenzende Hochschule ESMT im ehemaligen Staatsratsgebäude soll einen Neubau bekommen. Auch lange nach dem Mauerfall arbeiten wir noch am Herzen der Stadt! 35 Jahre nach der Wiedervereinigung sind viele Entscheidungen zu Flughäfen und Bahnhöfen gefallen und viele Baulücken bebaut, aber im Zentrum gibt es noch viel zu tun!

Vielen Dank für das Gespräch!

Ulf Meyer

„Jede Stadt findet einen eigenen Weg, ihr historisches Erbe zu bewahren.“

Petra Kahlfeld ist seit drei Jahren im Amt

Hintergrundinfos / Stadtplanung Molkenmarkt

Der Molkenmarkt, der älteste Platz in Berlin, steht vor einer großen städtebaulichen Entwicklung. Die Pläne sind zwar noch nicht endgültig festgelegt, aber die Weichen sind gestellt. Aktuell ist der Molkenmarkt eine riesige Straßenkreuzung, die den historischen Charakter des Ortes nicht einmal erahnen lässt.  

Im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens wurden zwei gleichberechtigte erste Preise vergeben. Die Planungen sehen vor, das Areal als Neuinterpretation des mittelalterlichen Stadtgrundrisses zu gestalten. Fünf Baublöcke sollen entstehen, und die Grunerstraße wird nach historischem Vorbild umgeleitet.

Ein Entwurf orientiert sich an den historischen Bezügen, während der andere modernere Baukörper vorschlägt.

Interessanterweise war die Entscheidung für einen der beiden Entwürfe nie geplant. Stattdessen bildet eine Charta nun die Grundlage für Hochbauwettbewerbe und die Umsetzung durch die Wohnungsbaugesellschaften degewo und WBM, denen die Grundstücke übertragen wurden. Nach dem Rahmenplan soll ein Gestaltungshandbuch die architektonische Umsetzung festschreiben. Die Charta wird durch den Senat beschlossen und dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Baubeginn ist Mitte 2029 geplant.

Es bleibt spannend zu verfolgen, wie sich dieser Ort in den nächsten Jahren verändern wird. 

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