Der in Buenos Aires geborene Landschaftsarchitekt Martin Rein-Cano vom Büro Topotek 1 aus Berlin gilt als enfant terrible und Pionier seines Berufsstandes. Seine Entwürfe, wie der für den Superkilen Park in Kopenhagen, wurden weltweit beachtet. Wir baten Martin Rein-Cano, einen wohlwollend-kritischen Blick auf die Freiräume in Berlin und anderswo zu werfen.
Beim Projekt „The Garden“ in Berlin-Mitte ging es um die Gestaltung einer typischen Berliner Situation mit einer dichten Bebauung. Wie sind Sie vorgegangen bei der Gestaltung des Außenraums?
Martin Rein-Cano: Die Wohnanlage „The Garden“ liegt am ehemaligen Mauerstreifen an der Chausseestraße. Für eine dichte Vegetation stellt die Tiefgarage ein Hindernis dar. Ein lockeres Gefüge der Vegetation aus Büschen, Sträuchern und Blumen wird von einem pixelartigen Pflastergitter verbunden und schafft eine wenig geradlinige Struktur, über die im Notfall Feuerwehrfahrzeuge in das Quartier gelangen und dort aufgestellt werden können. In den teils sonnigen, teils schattigen Nischen des Hofs wurden sieben große Bäume „versunken“, im Bereich der Tiefgarage, eingesetzt. Das Grün bildet ein selbstbewusstes Pendant zu den formalen und urban-großmaßstäblichen Neubauten – und einen Bezugspunkt im sonst sauberen urbanen Kontext. Statt gewöhnlicher Zäune oder Hecken wird Vegetation eingesetzt, um die privaten Gärten der Erdgeschosswohnungen zu rahmen.
Hofgestaltungen sehen oftmals kaum Angebote für verschiedene Bevölkerungs- und Altersgruppen vor. Wie sehen Sie das?
Rein-Cano: Viele Bewohner würden es sehr schätzen, die Stadt als ihren Lebensraum mitzugestalten. Improvisation hat dabei mehr Charme als cleane Perfektion. Denn Urbanität entsteht durch Vielfalt und Unvorhersehbarkeit. Viele Neubauviertel wirken wie geleckt, die Fassaden wie Tapeten. Wenn neue Stadtteile schon die frühmoderne Stadt simulieren, sollte dieses Simulacrum auch sitzen! Eine Stadt braucht Humus und nicht zu viel Ordnung: eine Freiraumgestaltung mit Spontanvegetation beispielsweise.
Bei einem Ihrer neueren Projekte „Downtown Høje Taastrup“, westlich von Kopenhagen, ging es um die Entwicklung eines neuen Stadtviertels mit einem interessanten Ansatz für Klimaresilienz.
Rein-Cano: Die vielen neuen Wohnungen führten zu einem großen Bedarf an Freizeitmöglichkeiten, Spiel- und Sportanlagen und Wegeverbindungen. In Høje Taastrup treffen Architektur, Landschaft und Stadtraum aufeinander. Mit dem einen Kilometer langen Park wurde die längste Skate-Anlage der Welt errichtet, gleichzeitig hält die Topographie bei Starkregen große Regenmengen zurück. Das Wassermanagement stellt einen zentralen Aspekt des Designkonzepts dar: Gräben, Stauflächen und Regengärten reihen sich auf dem Areal aneinander. Nach einem starken Regenguss wird das Wasser zu den Grünflächen und weiter in ein Regenrückhaltebecken geleitet. Unterhalb des Geländes verlaufen Regen- und Abwasserleitungen. Die Landschaft ist also mit einer Doppelfunktion belegt und entwickelt damit eine neue Ästhetik. Der Boden als Ressource wird doppelt genutzt!
Beim KPM-Quartier an der Spree von 2006 ging es darum, das historische Viertel in der Spreestadt neu zu definieren.
Rein-Cano: Die Königliche Porzellan-Manufaktur ist seit dem 19. Jahrhundert an dieser Stelle ansässig. Die neuen Gebäude geben dem Areal ein italienisches Flair – ein Musterbeispiel für das „steinerne“ Berlin. Unsere Gestaltung der Freiräume strebt eine fließende Verbindung von Materialität und Farbe an, basierend auf den Vorgaben der alten und neuen Architektur, wie der gelbe und rötliche Klinker der historischen Gebäude und die grünen, beigen und grauen Natursteine der neuen Bauten. Diese Strukturen fortschreibend schaffen mit Pflaster, Stadtmobiliar und Pflanzen ein Bild, welches sich behutsam an die Bestandsbauten anpasst. Das Muster aus kleinteiligem Kopfsteinpflaster in den Gassen und die großen beigen Steine aus Ungarn auf dem großen Platz nehmen die unterschiedlichen Maßstäbe auf. Ein Brunnen aus Bronze stärkt die edle Atmosphäre des Ortes, die an die 1930er-Jahre erinnert. Schwarzkiefern und Eichenholzbänke mit Messingelementen vervollständigen die ruhige, robuste Ästhetik und schaffen eine Komposition aus Farbe, Form und Material, mit der die Landschaftsarchitektur die Ästhetik der Architektur unterstützt.
Auf dem ehemaligen Flughafenareal in Tegel soll ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien entstehen. Was sehen Ihre Ideen für das Grünkonzept aus?
Rein-Cano: Das Gestaltungshandbuch für „Berlin TXL – The Urban Tech Republic“ formuliert die Leitlinien für die Entwicklung des Areals mit Regeln und Prinzipien für Bebauungsdichten sowie Freiflächen, damit der Standort eine einheitliche, durchgängige Identität bekommt. Das Konzept sieht vor, die ursprüngliche Struktur des Flugplatzes mit Start- und Landebahnen, Hangaren, Zufahrten und Anordnungen rund um das ehemalige Terminal zu erhalten. Es teilt das Gelände in verschiedene Zonen ein: Forschungscampus, Gewerbegebiet, Produktionsbetriebe, Wohnquartiere usw. Zur Vegetation auf dem Gelände war unser Vorschlag, „Klimabäume“ zu pflanzen, um ihre Beständigkeit als Stadtbepflanzung zu testen.
Beim „Hackeschen Quartier“ und dem Litfaß-Platz in Mitte ging es darum, einen „großen Platz und eine schmale Gasse“ zu gestalten. Wie sind Sie vorgegangen?
Der Platz inszeniert respektvoll das Bodendenkmal der Garnisonkirche, die sich früher auf dem Grundstück befand. Dabei rahmen mit schwarzem Basalt gepflasterte Wege für Fußgänger die zentrale Platzfläche, die sich als helle Fläche aus Terrazzo-Asphalt wie eine Intarsie von der dunklen Pflasterung absetzt und hervorgehoben wird. Platanen und ein großzügiges „Stadt-Sofa“ definieren die Ausrichtung des Platzes nach Südwesten. Die Eichenbank mit Messinggriffen umschließt eine Baum-Gruppe auf dem Platz und lädt Passanten zum kommunikativen Aufenthalt ein, denn für zufällige Begegnungen in der Großstadt sind schließlich ein gemeinsames Einsam-Sein und eine „gepflegte Ignoranz“ charakteristisch.
Herr Rein-Cano, Ihre Entwürfe stehen für eine frische und zugleich raue Haltung zum städtischen Außenraum.
Rein-Cano: Schon ab einer Größe von etwa 50 Wohnungen laufen neue Quartiere Gefahr, zu groß zu werden. Sie sollten die Stadt bereichern und ihr etwas geben, nicht parasitär sein und ihren Wirt schwächen. Berlin lebt von Subkultur und kreativen Milieus, die sich Orte suchen, wie es sie nur in Großstädten gibt. Hier in Deutschland sind die Leute aber nicht so anarchisch, dass sie sich Stadträume einfach aneignen würden. Kleinere Parzellen bieten die nötige Flexibilität, eine Chance auf „Verunstaltung“ und gepflegte Unordnung. In den Erdgeschossen der Quartiere sollte es etwas zu gucken und zu erleben geben, sie sollten nicht nur aus Tiefgarageneinfahrten, Müllräumen und Kinderwagen-„Kabuffs“ bestehen. Die Proportionen der europäischen Stadt in der Höhe und im Zuschnitt der Blöcke nachzuahmen, genügt nicht, um einen vielfältigen und vitalen Lebensraum zu schaffen. Mir geht es darum, Konflikte in Charakter zu übersetzen und neuen Quartieren zu erlauben, Patina anzusetzen. Von auf Hochglanz polierten, aseptischen und funktionsentmischten Stadtvierteln halte ich nichts.
Vielen Dank für das Gespräch.