Mammutprojekt Molkenmarkt

Wie könnte es irgendwann mal am Berliner Molkenmarkt und im Klosterviertel aussehen? Der Architekt Pakertharan Jeyabalan hat Stadtzeichnungen dazu gemacht
Stadtentwicklung

Zwischen Mühlendamm und Alexanderplatz verändert sich Berlin in den nächsten Jahren radikal. Die Grunerstraße verliert ihren mächtigen Stadtraum und führt, zweier Fahrspuren beraubt, in der Zukunft direkt hinterm Berliner Rathaus vorbei. Durch die Verschwenkung nach Norden entsteht neues Bauland, groß wie vier Fußballfelder. Auf ihnen errichtet die Stadt dreieinhalb Berliner Blöcke mit Wohnungen, Geschäften und Innenhöfen. Bauwerke, die an dieser Stelle zu DDR-Zeiten von den Verkehrsplanern abgerissen wurden. Ebenso der  Molkenmarkt, der für das Städtebauprojekt den Namen gibt.

Berlins ältester Marktplatz liegt unter Asphalt, irgendwo zwischen Rathaus, Nikolaiviertel, Alter Münze und Altem Stadthaus. Ursprünglich dreieckig, kommt er in halbrunder Form in den Stadtgrundriss zurück

Der Molkenmarkt ist eine Mammutaufgabe. Das zeigt schon der Umfang der Grabungen, die im Vorfeld stattfinden. Wir werden Zeugen des bislang größten Ausgrabungsprojekts im mittelalterlichen Stadtkern von Berlin-Cölln. Michael Malliaris, der es leitet, beziffert die Grabungsfläche mit 25 000 Quadratmetern. Sie sei damit größer als die am Schlossplatz, wo vor Jahren die Reste des alten Dominikanerklosters dokumentiert wurden. „Beim Molkenmarkt geht es jetzt vor allem um bürgerliches Wohnen und Arbeiten durch die Zeiten“, sagt Malliaris. Bei den Ausgrabungen an Rathaus und Petriplatz ging es in der Vergangenheit eher um Themen wie: repräsentative Bauten der Bürgerschaft und Sakralarchitektur. Um Kirchen, weiß der Archäologe aber, kommt er auch bei diesem Projekt nicht vorbei. Da warten die Spuren des Franziskanerklosters und der Französischen Klosterkirche schon. Malliaris plant mit Grabungen bis 2023. Vor dem Alten Stadthaus beginnen sie 2019, und am Mühlendamm entsteht eine Referenzfläche noch in diesem Jahr.

Die Grunerstraße verläuft künftig hinter dem Roten Rathaus entlang – so der Plan
Straßenzene am alten Molkenmarkt

Mit dem Start der Ausgrabungen geht eine 15-jährige Planungsgeschichte zu Ende. 2003 aufgestellt, ruhte der Bebauungsplan 1-14 Molkenmarkt/Klosterviertel jahrelang, bis ihn das Abgeordnetenhaus im Mai 2016 endlich beschloss. Erste Workshops wurden mit Architekten schon zu Zeiten von Senatsbaudirektor Hans Stimmann gemacht. Es gab Konzepte, die durchzogen das Klosterviertel mit einem ausgeklügelten System von Höfen. Darunter auch der Französische Hof, wo die achteckige Kirche der Hugenotten stand. Dieses Oktogon hat als Form sogar Eingang in den B-Plan gefunden. „Nur weiß niemand: Was ist das eigentlich?“, sagt Landschaftsarchitektin Christina Kautz. Sie hat in einem Ausstellungsbeitrag für „Molkenmarkt und Klosterviertel – Ein lebenswerter Ort?“, die im Oktober in der Parochialkirche zu sehen war, die Geschichte des Ortes recherchiert. Das Achteck ist der Sockel der verschwundenen Französischen Klosterkirche. Kautz schlägt vor, aus dem nun neu entstehenden Hof eine Freiluftbibliothek zu machen. Holzpodeste mit Sitzhöhe könnten von außen bestückt werden, Bücher im offenen Austausch unter freiem Himmel die Leser wechseln. Die Aufgabe der Bildung, so Kautz, sei den Hugenotten ein ganz großes Anliegen gewesen. Und das Klosterviertel selbst bezeichnet sie als eine „Hochkultur innerhalb des Berliner Stadtkerns“. Möge die Berliner Planungs- und Baukultur dieser beim Molkenmarktprojekt in nichts nachstehen. 

Gasse im Klosterviertel mit Sicht auf den Turm des Alten Stadthauses
Die Grunerstraße verliert ihren mächtigen Stadtraum und führt, zweier Fahrspuren beraubt, in der Zukunft direkt hinterm Berliner Rathaus vorbei. Durch die Verschwenkung nach Norden entsteht neues Bauland

„Wer das beste Bild bietet, soll bauen!“

Zum Auftakt der Grabungen und des Baubeginns hat der Verein Forum Stadtbild Berlin e. V. im Oktober in der Parochialkirche in einer Ausstellung die Geschichte und Planungsgeschichte des Projektgebietes gezeigt. Sie
war der Auftakt für eine öffentliche Debatte um die Reurbanisierung der Berliner Mitte. Wir sprachen mit Hans-Karl Krüger aus dem Vereinsvorstand.

Hans-Karl Krüger vom Verein Forum Stadtbild

Herr Krüger, wie wünschen Sie sich die Zukunft am Molkenmarkt?

Man sollte versuchen, ein möglichst lebendiges Quartier hinzukriegen. Da soll was passieren. Da soll Leben ins Erdgeschoss reinkommen. Wir plädieren dafür, dass der Molkenmarkt als Platz in irgendeiner Form wieder in Erscheinung tritt. Und dass die Fußgänger sich von einem Quartier in das andere bewegen können und nicht das Gefühl haben, sie gingen über eine Autobahn.

Was ist die Aufgabe Ihres Vereins?

Wir kommen mit Bildern und zeigen Visionen von Stadt, wie sie sein könnte. Wer das beste Bild bietet, soll auch bauen. Wir wollen weg von den Kuben und hin zu städtischen Parzellierungen. Sie sollen ihr eigenes Gepräge haben.

Wann ist Architektur gelungen?

Wenn sie Unterschiedlichkeiten herausstellt. Uns geht es darum, dass man die Rasterarchitektur mal ein bisschen auflöst und fragt, was kann man denn sonst noch machen? Die Leute suchen nach einem Zuhause, von dem sie nicht nur sagen können: Ich verschwinde in einem Loch. Sie wollen sagen können: Das ist mein Eingang. Das ist mein Haus.

Was beurteilen Sie den Neubau des Motel One an der Grunerstraße?
Man kann Hotels anders gestalten. Man muss nur den Mut haben und sagen: Lieber Bauherr, mach mal! Das ist der Ansatz, den wir geben wollen. Wir haben mit den Berliner Wohnungsbaugesellschaften am Molkenmarkt Gesprächspartner, mit denen man vielleicht besser reden kann als mit einem privaten Investor. Bauträger sagen oft: Ich muss bloß sehen, was beim Verkauf zu erzielen ist und die Fassade muss nur zweckmäßig sein, aber nicht schön, mehr nicht.

Es gibt einen Bebauungsplan. Wie verhalten sich Ihre Stadtbilder dazu?

Wir konterkarieren die Planung nicht. Wir nehmen die Grundstruktur bewusst auf und wollen die Möglichkeiten aufzeigen. Wir wollen eine offene, öffentliche Diskussion anstoßen.

An welche Möglichkeiten denken Sie dabei?

Wir versuchen, dem Senat Steuerungsanregungen zu geben für einen qualitätvolleren Umgang mit dem, was man hier bauen will. Dazu gehört auch das Gewerbe, nicht bloß das Wohnen, nicht bloß die Fassade. Man muss auch über sozialverträgliche Gewerbemieten reden, über Gewerbe, das mehr auf Kultur ausgerichtet ist. In die Alte Münze zieht das House of Jazz.

Das Gespräch führte André Franke.

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