„Die Stadt hat sich prächtig entwickelt“

Seit 2011 ist der Frank Henkel, 52, Innensenator des Landes Berlin. Seine Partei hat ihn als Spitzenkandidat zu den Wahlen im Herbst ins Rennen geschickt. Mit dem CDU-Politiker sprach Ina Hegenberger
Interview mit Frank Henkel

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) lässt sich von mäßigen Umfragewerten nicht entmutigen. Als Spitzenkandidat tritt er für seine Partei in den Wahlkampf. Mit Berliner Leben sprach er u. a. über Sicherheit, Integration, persönlichen Heimatverlust und den Garten seiner Kindheit.

Als Politiker im Wahlkampf müssen Sie viel aushalten. Zum Beispiel schlechte Umfragewerte, eine schwächelnde Partei ...

Die führenden Parteien liegen fast gleichauf, das Rennen ist extrem eng. Wir haben noch ein paar Tage bis zur Wahl und bis dahin ist noch genügend Zeit, um Profile zu schärfen. Es wird ja auch selten darüber berichtet, was alles gut läuft.

Was läuft alles gut?

Nehmen wir das Problem der Kriminalität in der Stadt. Wir haben in dieser Legislaturperiode eintausend neue Stellen im Sicherheitsbereich geschaffen, bei Polizei, Feuerwehr und Verfassungsschutz. Vor allem die Alltagskriminalität bewegt die Berliner, darum war es wichtig, dass wir mit dem Personalabbau Schluss gemacht haben.

Die Berliner CDU zieht mit dem Slogan „starkes Berlin“ in den Wahlkampf. Und Sie sind optimistisch genug, mit Ihrer Partei die stärkste Fraktion stellen zu wollen.

Ich finde den Slogan passend, weil Berlin heute besser dasteht als vor fünf Jahren. Das kann man an allen Parametern ablesen. Die Stadt hat sich prächtig entwickelt. Die bevorstehende Wahl ist darum auch so wichtig, damit dieser Aufschwung nicht stagniert und wir weiter an der guten Entwicklung arbeiten können.

Sie sind ja auch der Kandidat der CDU, der für das Amt des Regierenden Bürgermeisters ins Rennen geht. Mit welchen Themen und Lösungsvorschlägen wollen Sie konkret Wählerstimmen gewinnen?

Das Thema Bildung wird im Mittelpunkt stehen und natürlich die Frage, wie schaffe ich Arbeitsplätze. Wir konnten in den letzten zehn Jahren die Arbeitslosigkeit halbieren, indem wir eine Wirtschaftspolitik betrieben haben, die klar darauf ausgerichtet ist, Jobs zu schaffen. Weitere Schwerpunkte sind Wohnungsbau und bezahlbarer Wohnraum. Und wir werden uns mit Fragen der Integration von Flüchtlingen beschäftigen. Im vergangenen Jahr kamen 80 000 Menschen nach Berlin. Nach dem Königsteiner Schlüssel mussten wir 55 000 aufnehmen, das war schon eine beachtliche Herausforderung. Demzufolge ist die Integration der Menschen, ein großes Thema für die Union. Aber wie gesagt, ein wesentlicher Punkt wird Sicherheit und Ordnung sein.

Um das Ansehen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verbessern, haben Sie im Innenressort einen Film herausgegeben. Es geht um Respekt gegenüber Ordnungskräften.

Motivierte Einsatzkräfte sind das Kapital einer funktionierenden Verwaltung. Das betrifft vor allem die Sicherheitskräfte auf der Straße. Mit diesem Film und Radiospot sollte ein Zeichen gesetzt werden für all die Uniformträger, deren Ansehen in der Öffentlichkeit nicht immer wertgeschätzt ist. Dahingehend muss dringend ein Umdenken stattfinden.

Es kommt aber oft zu Klagen, dass nicht konsequent durchgegriffen wird seitens der Polizei.

Die Stadt wächst in den letzten Jahren um 40 000 Menschen pro Jahr. Das ist eine enorme Herausforderung für die Sicherheitsbeamten. Wir wollen nichts beschönigen, aber es muss gerade beim Thema Kriminalität differenziert werden. Gewaltdelikte sind auf einem Rekordtiefstand. Damit können wir zufrieden sein. Wohnungseinbrüche haben deutschlandweit zugenommen, die Wachstumszahlen liegen im zweistelligen Prozentbereich. In Berlin stehen wir besser da als im übrigen Bundesgebiet. Bei uns sind die Zahlen im letzten Jahr zurückgegangen.

Wie kommt das?

Verbesserte Kooperation mit der Staatsanwaltschaft, verdeckte Ermittlerteams, spezielle Operationen und Maßnahmen, die offensichtlich greifen. Das ist nicht ganz trivial.

Und trotzdem steigt die Kriminalität.

Das liegt an der Zunahme der Taschendiebstähle. Dahinter stecken organisierte
Kriminalitätsstrukturen. Wir haben es mit hochprofessionellen Diebesbanden zu tun. Denen ist schwer beizukommen. Und diese Delikte schlagen negativ auf die Statistik. Der leichte Anstieg der Gesamtanzahl der Straftaten bedeutet nicht, dass Berlin unsicherer geworden ist. Der Anstieg ist auch mit dem Bevölkerungswachstum zu begründen.

Frank Henkel hat Diktaturerfahrung. Die Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte ist ihm ein großes Anliegen

Die zunehmende Bedrohung durch Terror beschäftigt auch die Berliner. Wie gefährdet ist die deutsche Hauptstadt nach den Meldungen Anfang Juni aus Düsseldorf?

Wir müssen wachsam sein. Die Festnahmen in Düsseldorf zeigen, dass die Behörden aufpassen und die Sicherheitsarchitektur in Deutschland gut funktioniert.

Eine Bedrohung besteht dennoch.

Es gibt auch immer wieder Razzien. Ich habe im Haushalt dafür gesorgt, dass wir nicht nur mehr Personal bekommen, wir haben auch ein millionenschweres Antiterrorpaket mit Spezialausrüstungen geschnürt. Und ja, die mögliche Gefahr bleibt abstrakt hoch.

Sie haben Integration als Schwerpunkt genannt. Eine steigende Flüchtlingszahl und der zu erwartende Zuzug von Angehörigen ist ein bestehendes Problem hinsichtlich Unterbringung und Versorgung.

Wie viele Flüchtlinge in diesem Jahr zu uns kommen werden, lässt sich nicht beziffern. Und ich vermute, dass der Großteil der Menschen, die jetzt hier sind, auch bleiben wird. Für die Politik bedeutet das besondere Anstrengungen, auch vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt.

Was tut die Politik?

Wir haben einen Masterplan zur Integration verabschiedet. In dem geht es unter anderem darum, dass Turnhallen ihrem Zweck zurückgeführt werden, Sprachangebote gemacht und Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Es geht auch um die Vermittlung von Werten und Normen, die in unserer Gesellschaft maßgeblich sind. Ich finde diesen Masterplan insgesamt gelungen. Genauso sind wir darauf bedacht, diejenigen zurückzuschicken, die kein Bleiberecht haben.

Es gab Kritik, dass die Ausreisepflicht abgelehnter Asylverfahren nicht genügend durchgesetzt wurde.

Auch dieser Kritikpunkt hat sich verbessert. Bis Mitte dieses Jahres habe ich mehr Abschiebungen durchgeführt als im gesamten vergangenen Jahr, das heißt, wir arbeiten kontinuierlich daran, dass Menschen, die nicht hier bleiben dürfen, auch wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Leider haben wir auch immer wieder mit sogenannten Abschiebehindernissen zu tun wie ärztliche Atteste oder dass es keinen Pass gibt. Und ohne Pass kann niemand in ein Land gebracht werden. Auf Bundesebene diskutieren wir immer noch die Frage sicherer Herkunftsländer und dass viele dieser Länder keine Charterflüge zulassen. Auch dieser Umstand muss vereinfacht werden.

Terror-Gefahr in Berlin „bleibt abstrakt hoch“

In Ihrer Familienbiografie gibt es auch ein Kapitel, in dem es um Heimatverlust und Neuanfang geht. Sie konnten mit 17 über einen Ausreiseantrag die DDR verlassen. Welchen Einfluss haben Ihre frühen politischen Erfahrungen auf Ihre Arbeit als Politiker heute?

Ich entstamme einer typischen Berliner Familie. Meine Oma war tiefgläubige Katholikin aus Oberschlesien, ist vertrieben worden und im Ostteil gelandet. Ein Teil der Familie war im Westen. Meine kindliche Wahrnehmung bezog sich zunächst darauf, dass wir unsere Verwandten nicht besuchen durften und die Schokolade aus dem Westen besser geschmeckt hat. Als ich 13 war, haben meine Eltern den Antrag auf Ausreise gestellt. In ihrem Freundeskreis wurde viel über Deutschlandpolitik geredet. Ich denke, dass mich diese Phase schon sehr geprägt hat.

Wann haben Sie angefangen, sich für Politik zu interessieren?

Im Westen habe ich mich zunächst bei einer internationalen Organisation für Menschenrechte engagiert. Die SPD war damals auf dem Kurs, die DDR-Volkskammer anzuerkennen. Es gab die Forderung, Salzgitter aufzugeben und man wollte eine DDR-Staatsbürgerschaft anerkennen. Das war für mich unvorstellbar und empörend. Die Deutschlandpolitik seitens der Sozialdemokraten war für mich nicht akzeptabel. Folglich habe ich mich zunehmend politisch interessiert und engagiert, und da kam nur eine Partei in Frage, das war die CDU.

Wie fremd oder wie nah war Ihnen der andere Teil Deutschlands?

Als ich in den Westen gekommen bin, war alles anders. Nicht fast alles, alles! Selbst die Anordnung des Adressfeldes beim Brief. Der Wechsel ist mir aber rückblickend leicht gefallen. Sprachliche Feinheiten wie Plastiktüte statt Plastetüte und Hähnchen statt Goldbroiler hatte ich schnell raus. Wie viele andere, habe ich das Aufnahmelager Marienfelde kennengelernt und auch das Leben in einer Unterkunft. Verwandte lebten im Märkischen Viertel im Hochhaus. Von dort konnte man hinüberschauen nach Buchholz, wo unser Garten war, in dem ich die schönsten Kindheitserlebnisse hatte. Meine Freunde haben mir damals eine wunderbare Abschiedsfeier in Buchholz gegeben. Ich dachte, die werde ich nie wiedersehen. Ich durfte ja erst mal nicht mehr einreisen. Zu dem Zeitpunkt war nicht daran zu denken, dass acht Jahre später die Mauer fallen würde.

Sehen Sie Parallelen zu Flüchtlingsschicksalen aus Diktaturen und Ihren Erfahrungen?

Es gibt einen Oberbegriff, der uns verbindet, das ist Diktaturerfahrung. Das ist aber auch alles. Ich konnte mich sofort verständigen und mir standen alle Türen offen. Es gibt DDR-Schicksale wie Zwangs-adoptionen, die nicht annähernd zu vergleichen sind mit meiner Erfahrung. Zur jetzigen Flüchtlingssituation lässt sich kein Zusammenhang herstellen.

Sie haben einen kleinen Sohn. Glauben Sie, dass ihm die jüngere deutsche Geschichte im Schulunterricht später ausreichend vermittelt wird?

Die Wiederaufarbeitung ist ganz wichtig für nachfolgende Generationen. Und das Bewusstsein, was es bedeutet, in Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu leben. Das wird heute gern als Selbstverständlichkeit genommen. Ist es aber nicht. Ich hoffe, dass in den Rahmenlehrplänen das Kapitel der zweiten deutschen Diktatur angemessene Aufmerksamkeit bekommt. Ich bin sehr dankbar, dass mein Sohn diese Erfahrung nicht machen muss und werde mich immer dafür einsetzten, dass Gedenkstätten und Denkmäler erhalten bleiben und junge Menschen die Leidensgeschichte der Stadt kennenlernen.

Ina Hegenberger

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