Es lohnt sich, für die Freiheit ins Risiko zu gehen

Jan Josef Liefers
Interview mit Jan Josef Liefers

Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Schauspieler. Mitte der 90er-Jahre gelang ihm sein Durchbruch in Helmut Dietls Filmkomödie „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“. Für seine Rolle als Bodo Krier erhielt er den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsschauspieler. Er spielte Theater und in zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen. Besonders geschätzt wird Jan Josef Liefers von einem großen Publikum in seiner Rolle als Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne im Tatort aus Münster.
Gemeinsam mit Axel Prahl als Kommissar Frank Thiel gehört das Duo zu den beliebtesten Tatort-Ermittlern. Außerdem ist Jan Josef Liefers Musiker mit eigener Band, Regisseur und Produzent. Der gebürtige Dresdner, Jahrgang 1964, hat sein Handwerk an der Ernst Busch Schauspielschule erlernt, er ist Vater von vier Kindern, seit 2004 verheiratet mit der Schauspielerin und Sängerin Anna Loos und lebt in Berlin. Berliner Leben traf Jan Josef Liefers in seinem Kiez in Steglitz.

Der letzte Tatort aus Münster „Magic Mum“ war enorm erfolgreich mit einer Einschaltquote, die wohl kaum zu toppen ist. Wie erklären Sie sich den großen Zuspruch?

Da kann ich auch nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich ist es der Anteil Humor, eine gewisse Leichtigkeit, sich selbst und den altehrwürdigen Tatort nicht ganz so bierernst zu nehmen. Bestimmt liegt es auch an der Ansammlung eigenwilliger Typen, die in Münster aufeinandertreffen. Die Variante namens Krimikomödie.

Offenbar gut angekommen beim Publikum sind originelle Witzeleien über Diversity und Gendersprache. Vermissen die Menschen mehr offene Worte zu diesen Themen? Wie stehen Sie zu gendergerechter Sprache?

Ich sehe nicht, dass Gendersprache eine Forderung aus der Mitte der Gesellschaft ist. Umfragen ergeben immer wieder eine mehrheitliche Ablehnung. Ich finde es aber in Ordnung, im normalen Sprachgebrauch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es männliche, weibliche und diverse Varianten des menschlichen Säugetiers gibt. Was nervt, ist sicher die mitunter militante Art, das mit aller Macht durchzudrücken. Einige Medien gefallen sich da besonders gut als verlängerter Arm der Sprachpolizei. Es gibt zwischen den Geschlechtern eine Reihe erheblicher Ungerechtigkeiten, die man aus meiner Sicht sinnvoller bekämpfen müsste, als ein paar harmlose Gendermuffel. Es ist eine Frage des Maßes und wir müssen darauf achten, bei allen berechtigten Anliegen immer schön Mensch zu bleiben.

Sie stammen aus einer Theaterfamilie. Wann stand für Sie fest, dass Sie auch Schauspieler werden wollen?

Ungefähr als ich vierzehn Jahre alt wurde. Am Theater war ich als Kind immer willkommen mit meinen Spinnereien, während ich anderswo eher aneckte. Wir reden hier von der DDR Ende der 70er Jahre. Ich wollte etwas machen, bei dem ich einigermaßen glücklich werden konnte, ohne mich allzu sehr verbiegen zu müssen.

Jan Josef Liefers als Boerne im ARD/WDR TATORT: MAGIC MOM
Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) besprechen die Infos, die sie bisher haben – dabei hilft ein Eis

Meine Erfahrung war, dass es sich lohnt, für die Freiheit ins Risiko zu gehen. Den Mund aufzumachen, auch wenn man es sich eigentlich gar nicht leisten kann.

Neben Ihrer Arbeit als Schauspieler sind Sie auch als Musiker mit eigener Band sehr viel unterwegs. Sind Sie lieber Musiker oder Schauspieler?

Die Frage kriege ich oft gestellt und drücke mich jedes Mal um eine Antwort. Für mich sind das keine Antipoden, beides gehört auf selbstverständliche Art zu mir. Zum Glück brauche ich mich nicht zu entscheiden.

Wie entstehen Ihre Songtexte?

Auf viele Arten, manchmal aus einem Guss, hintereinanderweg in drei Minuten. Manchmal sind sie halbfertig und liegen dann Wochen herum, bis etwas passiert und die Nuss geknackt ist. Ich habe irgendwann gelernt, mit Partnern zu schreiben. Das war eine Erlösung in einigen Fällen.

Welche Musiker haben Sie inspiriert?

Ich war früher immer eher der Junge mit der Gitarre. Mein erstes Songbook stammte aus dem Westen, es waren die Lieder von Reinhard Mey. Auch Klaus Hoffmann und seine Jacques Brel-Adaptionen habe ich damals gerne gespielt. Natürlich die Beatles, eine Gitarrenband! Viele Einflüsse kamen auch aus dem Country und der Folkmusik. Bob Dylan natürlich, Pete Seeger, Joan Baez … Heute finde ich vieles gut, mein Geschmack ist sehr offen und macht auch vor Jazz nicht halt.

Sie sind in der DDR aufgewachsen und haben am 4. November 1989 öffentlich politische Position bezogen als Redner auf einer Groß-Demonstration am Alexanderplatz in den Tagen vor dem Mauerfall. Wie blicken Sie heute zurück auf diese Zeit?

Mit einer gewissen Rührung. Ich durfte Zeuge eines unblutigen Regimewechsels werden, habe selber hier und da mitgeholfen. Meine Erfahrung war, dass es sich lohnt, für die Freiheit ins Risiko zu gehen. Den Mund aufzumachen, auch wenn man es sich eigentlich gar nicht leisten kann. Tut man es nicht, wird man es auch dann nicht mehr tun, wenn man es sich leisten könnte. Damals wurden die Karten neu gemischt, ein bisschen mitgemischt zu haben, war eine prägende Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.

Ihre Tatort-Figur glänzt mit Scharfzüngigkeit. Sie selbst riskieren es auch, mal anzuecken, wenn es ums Hinterfragen geht. Im April 2021 haben Sie sich mit etwa 50 Schauspielerinnen und Schauspielern über die Coronapolitik mokiert und gut gemachte satirische Film-Beiträge auf YouTube gesendet. Wegen der Aktion standen Sie und Ihre Kollegen in der Kritik. Wie haben Sie sich damit gefühlt?

Der von mir hochgeschätzte Kollege Harald Schmidt sagte zu dem ganzen Krawall damals, dass die Videos klar Satire seien und wer die Hitze nicht verträgt, darf nicht in die Küche gehen. Dem stimme ich zu. Mein Beitrag richtete sich gegen den freiwilligen Chorgesang der meisten Leitmedien, gegen die Politisierung der Pandemie und gegen Angstmacher und Panikverbreiter. Entsprechend beleidigt und völlig überhitzt fielen die Gegenmaßnahmen jener aus, die sich angesprochen fühlten. Das war irritierend und auch verstörend. Und es bleibt genauso in Erinnerung, was schade ist. Was medial natürlich gar keine Rolle mehr spielte, war der enorme Zuspruch, den die Aktion aus allen Bereichen der Gesellschaft auch bekam, darunter viele Zeitgenossen, die ich sehr schätze. Für mich war es eine notwendige Einmischung in die eigenen Angelegenheiten, wie Jürgen Fuchs es einmal formulierte. Die Kunst abgeschaltet und einsortiert zwischen Spaßbad und Puffbesuch, das war falsch, armselig und traurig.

Was schätzen Sie an Boerne besonders?

Der ist so ein richtig aus der Zeit gefallener Typ, wohlhabend, ein Snob, ein Genießer, ein arroganter Kerl, kultiviert, mit Manieren, meistens klug, oft aber auch wieder doof. Er ist schnell im Kopf und einen Moment später hat er eine endlos lange Leitung, verbal ein Scharfschütze, aber emotional ein Drittklässler, ein Wagnerianer, politisch unkorrekt und fachlich brillant. So eine Figur würde wahrscheinlich heute in Drehbüchern so lange umgearbeitet, bis sich niemand mehr auf den Schlips getreten fühlen kann. Ich finde schön, dass es ihn gibt. Es ist eine Freude, ihn zu spielen, aber er hat wenig mit mir privat zu tun.

Schauspieler Jan Josef Liefers im Café „Fendricks“

Sie sind mit dem bekannten Rechtsmediziner Michael Tsokos befreundet und haben mit ihm für eine Dokumentation über echte Todesfälle zusammengearbeitet und auch selbst obduziert. Was fasziniert daran?

Unser Tod ist das einzige, das wir sicher über den Verlauf unseres Lebens wissen.
Alles andere ist ungewiss. Trotzdem verdrängen wir ihn nach Kräften und vermeiden die Beschäftigung mit ihm. In der Rechtsmedizin landen, abgesehen von mutmaßlichen Selbstmördern, ausschließlich Verstorbene, die von ihrem Tod überrascht wurden und deren Todesursache zunächst unklar ist. Sie werden genau so in die Forensik gebracht, wie sie aufgefunden wurden. Oft genug entrollen sich tragische Schicksale, ergeben sich klare Bilder von den letzten Momenten ihres Lebens. Das fasziniert mich und vor allem, dass der Rechtsmediziner alles über den Zustand des Menschen herausbekommt, aber nichts von dem, woran sich Freunde und Verwandte erinnern. Nichts über den Charakter, den Humor, nichts über das Wesen des Toten. Für mich ein klarer Hinweis auf die Existenz von so etwas wie Seele.

Sie haben sich schon vielfach sozial engagiert, wofür Ihnen das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, und unterstützen verschiedene Kampagnen. Ihr jüngstes Projekt ist eine Initiative, die benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützen möchte, sich mehr zu bewegen und Sport zu treiben? Wie kamen Sie dazu und wie wird das Angebot angenommen?

Es wird sehr gut angenommen! Derzeit ist der Wirkungskreis des Vereins noch auf vor allem Süddeutschland begrenzt. Aber das soll sich zügig ändern. Die Idee entstand mit der Tübinger Ärztin Dr. Lisa Federle und dem Sportjournalisten Michael Antwerpes, als während der Pandemie besonders Kinder und Jugendliche unter der Coronapolitik der Bundesregierung zu leiden hatten. Das „Tübinger Modell“, das städtisches Leben ermöglichte, indem es eine Teststrategie zugrunde legte, war die Inspiration. Zum Glück wurde dann aber Vereinssport bald wieder möglich und so verschob sich der Vereinszweck auf die heutigen Ziele. Kindern und Jugendlichen, die zum Beispiel aus der mit Krieg überzogenen Ukraine nach Deutschland kommen, kann gut geholfen werden. Viele etablierte Leistungssportler helfen uns zum Glück und auch an den Erwachsenen geht der Enthusiasmus für Bewegung nicht spurlos vorüber.

Treiben Sie selbst gern Sport?

Absolut! Seit meiner Kindheit bin ich in Bewegung und nun, wo ich über die Mitte des Lebens deutlich hinaus bin, hat dieser Drang nicht nachgelassen. Die Sportarten haben sich etwas geändert, heute verbringe ich wieder viel Zeit im Sattel auf dem Rennrad. Ich erkunde Yoga und entdecke wieder Tai Chi, das ich zuletzt auf der Schauspielschule kennenlernte. Ein bisschen was tun für die Kraft, ein bisschen was für die Ausdauer, ein bisschen was für die Beweglichkeit – das hilft im Beruf wie im täglichen Leben.

Sie sind in Dresden aufgewachsen und leben mit Ihrer Familie und zwei Hunden in Berlin. Was schätzen Sie an der Stadt?

Es sind inzwischen drei Hunde und ein Kater. Berlin war die erste Stadt, in der ich nach dem Elternhaus allein wohnte.
Als Student der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Ich war nur insgesamt 10 Jahre woanders, aus Arbeitsgründen. Berlin ist meine Stadt geworden und an Dresden hänge ich, wie jeder Dresdner, egal wohin es ihn verschlagen hat. Für jemanden, der eine spannende Kunst- und Kulturszene mag, ist Berlin ein guter Ort. Und die Umgebung ist für Radfahrer ein kleines Eldorado. Jedenfalls, wenn man keine Berge mag.

Was gefällt Ihnen nicht?

Dass die Stadt – wie das gesamte Land – in Bürokratie versandet. Gute Ideen zum Beispiel für Wiederbelebung von kleinen und großen Radrennen oder dergleichen scheitern leicht an endlosen Auflagen und aufgeblähten Sicherheitsvorschriften. Es gibt immerhin den Berlin Marathon, aber für eine Hauptstadt ist das zu wenig. Arm, okay, immer noch sexy, auch okay, aber eine leicht steigende Tendenz zum Spielverderber, nicht okay… Trotzdem liebe ich die Stadt und werde sie immer lieben.

Danke für das Gespräch.

Von Ina Hegenberger

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