Gästezimmer in der Realität

Interview mit Chin Meyer

Chin Meyer, bekannt u. a. als kabarettistischer Steuerfahnder,
widmet sich in seinem neuen Programm inneren und äußeren
Widersprüchen, die als Zeitgeistphänomen einander bedingen
und am besten mit Humor auszuhalten sind. Berlin vis-à-vis sprach mit dem Kabarettisten über „Ein Leben im Plus“. 

Herr Meyer, für Ihr neuestes Programm haben Sie große Widersprüche des Lebens und der Politik analysiert. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Das Leben ist komplex. Das ist ärgerlich, weil wir alle gern einfache Lösungen hätten. „Die ‚Merkelnutte‘ (Zitat Peter Boehringer, AfD) hat Schuld – und wenn die macht, was ich will, ist die Welt wieder gut.“ So in dem Stil. Leider wird diese Vorstellung nicht gegeben – es gibt kein Richtig und Falsch. Oder jedenfalls nur sehr, sehr selten. Wir alle möchten einen total gerechten, umweltfreundlichen Planeten, während wir im privaten Learjet unserer Egomanie über den Wolken schweben. Beim „Leben im Plus“ geht es darum, innere und äußere Widersprüche auszuhalten – dafür braucht man Humor.

Werden sich bekannte Gesichter auf etwas gefasst machen müssen?

Es geht nicht so sehr um Personen, sondern um Dynamik. Und um Fakten. Also Sachverhalte, die nachvollziehbar existieren. Einige besonders rechte oder besonders linke Politiker sind dermaßen von der Wirklichkeit abgespalten, dass sie nur noch ein Gästezimmer in der Realität haben und mit dem Donald-Trump-Fake-News-Award ausgezeichnet werden können – die sollten sich vielleicht etwas wärmer anziehen.

Führen Sie ein Leben im Plus?

Auf jeden Fall. Wir alle tun das – die meisten merken es nur nicht.

Sie werden ja gerne als Finanzkabarettist bezeichnet. Hätten Sie gedacht, dass das Thema Geld tatsächlich für die Kabarettbühne geeignet und auch noch so gefragt ist?

Es geht bei mir ja nicht nur um Geld – es geht auch um Aktien, Immobilien und Rohstoffe … Aber im Ernst, das mit dem Geld war eher ein Zufall – als ich vor gut zehn Jahren in dem Theater-Restaurant „Pomp, Duck & Circumstance“ anfing, den „Steuerfahnder“ zu spielen, kam es von allein in mein Bühnenleben. Dass es gefragt ist, überrascht mich nicht. Eher, dass es kaum ein anderer bedient!

Chin Meyer als Siegmund von Treiber, Deutschlands schärfster Steuerfahnder

Als Kabarettist können Sie schonungslos offen und böse sein. Steuerfahnder Siegmund von Treiber ist nicht zimperlich mit dem Publikum. Gehen Sie da nicht manchmal zu weit?

Als Kabarettist sollte man Grenzgänger sein. Aber es geht mir nie darum, irgendjemand persönlich anzugreifen. Höchstens die Funktion oder die Illusion, die der oder die bedient. Wie sagte schon Shakespeare? „Die ganze Welt ist eine Bühne ...“ und wir alle sind nur Schauspieler. Und in unseren Rollen können wir ganz herrlich streiten, um anschließend in der Kantine ein Bier zu trinken und zu lachen.

Wie entwickeln Sie Ihre Programme, was inspiriert Sie?

Wahrheit. Comedy is truth, sagen die angelsächsischen Kollegen gern. Mich inspirieren ungewöhnliche Geschichten. Und dieses verrückte Wunder, in diesen spannenden Zeiten zu leben.

Sie schreiben Bücher, singen und standen schon mit Ihrem jüngeren Bruder, dem Schauspieler Hans Werner Meyer, auf der Theaterbühne. Was haben Sie in nächster Zeit noch vor?

Leute zum Lachen bringen. Mit ihnen lachen. Das Leben feiern. Lieben. Und dann gibt es noch diverse Projekte, die alle sehr spannend, aber noch nicht spruchreif sind. Außerdem werde ich weiterhin bundesweit touren und  auch mit meinem Bruder und alten sowie jungen Freunden auf der Bühne stehen.

Wer bringt Sie zum Lachen?

Robin Williams, Bo Burnham, Ellen DeGeneres – vor allem aber: Die Absurdität des Lebens und … meine wunderbare Geliebte.

Danke für das Gespräch.

Ina Hegenberger

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