Die Berliner sind mir ans Herz gewachsen

Täglich on air: Der Radiomoderator ist beim Berliner Rundfunk 91.4 von montags bis freitags von 10 bis12 Uhr und am Wochenende von 13 bis 16 Uhr mit der „Rik De Lisle-Show“ auf Sendung
Interview mit Rik De Lisle

Rik De Lisle macht seit fast 50 Jahren Radio in Berlin. Angefangen beim Alliiertensender AFN, später Rias 1 und Rias 2, ist er heute täglich on air beim Berliner Rundfunk 91.4 mit dem legendären Begrüßungsslogan „Hi, icke bins, alter Ami Rik De Lisle“. Berliner Leben traf den amerikanischen Radiomoderator an seinem Arbeitsplatz im Sendestudio.

Sie sind seit über 50 Jahren beim Radio, anfangs beim amerikanischen Sender AFN und später beim Rias Berlin, wo Sie auch Musik-Chef waren. Wie beschreiben Sie das Lebensgefühl der 70er-Jahre in Berlin?

(Lacht) Alle waren so high! Berlin war „on edge“, an vorderster Front. Einerseits wurden in dieser Zeit Leute an der Mauer erschossen. Das Ende von Freiheit und Demokratie war sichtbar. Man war umzingelt vom DDR-Staat. Und gleichzeitig war man mit so vielen verschiedenen Leuten zusammen und alle hatten die gleiche Einstellung: Wir sind zusammen in dieser halben Stadt und müssen miteinander auskommen.

Ich habe in meiner Luftwaffenuniform in besetzten Häusern Bier getrunken, war mit Punks in Berliner Kneipen unterwegs. Es gab ein unausgesprochenes Gemeinschaftsgefühl. Es waren so viel coole Leute in Berlin. Und gerade für Künstler aus Amerika und England war Berlin eine sehr wichtige Stadt. Denn ein ungeschriebenes Gesetz in den 70-ern hieß: Musiker müssten drei Gigs machen, um anerkannt zu sein: Im Marquee in London, im Paradiso in Amsterdam und im Kant-Kino in Berlin. Ich habe „Police“ in Berlin auf der Bühne gesehen, bevor sie ihre erste Platte herausgebracht haben.

Wie haben Sie die 68er in Berlin erlebt und empfunden?

Als ich nach Berlin kam, lernte ich den Fotografen Jim Rakete kennen. Er war ein großer Fan meiner Sendung. Er hat mich an die Hand genommen und überall hin mitgeschleppt. So kam ich in Kontakt mit sehr vielen Leuten aus der Ecke der Kriegsdienstverweigerer und der Studentenbewegung. Wir haben sehr viel diskutiert und eine Ebene gefunden, auf der wir gut miteinander auskommen konnten. Das findet heute so nicht mehr statt. Ich glaube, heute ist alles schwarzweiß und damals gab es einen großen grauen Fleck auf dem Erdball, und der hieß Berlin.

Und Sie sind immer noch mit dabei. Heute haben Sie Ihre eigene Sendung beim Berliner Rundfunk.

Es ist die Sendung, die ich immer haben wollte! Sie besteht voll und ganz aus Geschichten: Was ist die Story hinter diesem Song oder diesem Künstler. Ich spiele Musik, die wir alle lieben und kennen und die Leute, die sie hören, erfahren noch ein bisschen Hintergrund. Die Sendung macht mir super Freude.

„Ami war ein Schimpfwort und gesell-
schaftlich tabu. Nachdem wir den
Namen aber in die Sendung genommen
haben, fanden ihn alle gut.“
 

Sie haben Berliner Radiogeschichte wie kein anderer so lange erlebt. Wie sehen Sie das im Rückblick?

Einen Sender wie Rias gab es nur einmal auf der ganzen Welt. Wir saßen in West-Berlin und haben für die ganze DDR mitgesendet und nie gedacht, dass wir irgendwann einmal unsere Hörer von der anderen Seite sehen werden. Radio war zu der Zeit sehr überschaubar und der große Unterschied zu heute ist: Radio ist nicht mehr das, was es einmal bedeutet hat. Du musst heute nicht mehr Radio hören, um herauszufinden, wann das nächste Rolling Stones Album rauskommt. Wir haben viele Informationen verbreitet und es war alles etwas freier und verrückter. Ich konnte kaum Deutsch und trotzdem haben sie mich on air gelassen …

Ihren Spitznamen „der alte Ami“ haben Sie einer Kollegin zu verdanken. Damals waren Sie noch sehr jung. Obwohl „Ami“ oft abwertend verwendet wird, wurde der Name Ihr Markenzeichen …

Wir waren beim Rias 2 ein kleines Team von 15 Leuten. Und ich war der Älteste mit 36 und bereits Rentner von der US-Luftwaffe. Alle anderen waren in den 20ern. Als einmal meine damalige Kollegin Brigitte Helfert zu spät in die Redaktionssitzung kam und ich sie scherzhaft maßregelte, sagte sie so in etwa: „Alter Ami, halt die Klappe ...!“ Alle haben gelacht und ich dachte, alter Ami, was für ein cooler Name. Ami war ein Schimpfwort und gesellschaftlich tabu. Nachdem wir den Namen aber in die Sendung genommen haben, fanden ihn alle gut.

Haben Sie Ihren amerikanischen Akzent absichtlich beibehalten?

Nein. Ich habe nie besser Deutsch gelernt. Als ich vom AFN zu Rias ging, sagte mir ein berühmter Kollege: Du brauchst nur vier Worte, um eine Sendung auf Deutsch zu machen: „Das war…“ und „hier ist …“, also zum Beispiel „Das war Bruce Springsteen und hier ist Belinda Carlisle“. So fing es an.

Sie haben viele berühmte Musiker persönlich kennengelernt. An wen erinnern Sie sich besonders gern?

An Nena. Als sie aus Hagen nach Berlin kam, hat sie neben ihrer Musik als Sekretärin gearbeitet für die „Spliff Radio Show“, bei der ich damals mitgemacht habe. Nena war immer super. Und sie hat sich über die Jahre nicht verändert. Ich freue mich immer sehr, wenn wir uns sehen.

Und an wen besonders ungern?

Ich hatte mal eine Riesen-Auseinandersetzung mit Patti Smith hinter der Bühne. Ich sagte ihr, in Berlin interessiert es keinen, dass sie aus New York kommt. Das ist nicht gut angekommen bei ihr. Dementsprechend schlecht lief dann das Interview …

Was ist für Sie gutes Radio?

Das ist schwierig. Das hängt von den Hörern ab. Es gibt eine ganze Bandbreite und jeder kann sich heute aussuchen, wo für ihn das richtige Programm läuft. Es gibt kein gut und schlecht.

Wie sehen Sie die Zukunft des Rundfunks?

Es ist wie mit Fußball. Die Spieler sind heute alle glattgebügelt und haben ihre PR-Berater. So ist es mit Fernsehen und Radio auch. Es wird gemacht, was angesagt ist. Es gibt kaum jemanden, der herausragt oder auffällt. Ich habe das anders kennengelernt. Aber was soll‘s, es gibt ja auch keine Pferdekutschen mehr, obwohl die bestimmt cool waren.

Welche Rolle spielen Rocklegenden bei der jungen Generation? Was ist dabei Ihre Erfahrung mit Hörern?

Ich staune, wieviel junge Leute diese Musik super finden.

Sind Sie oft in Amerika? Wie verbunden sind Sie mit Ihrem Geburtsland?

Ich bin selten da. Meine Frau würde gern dort hingehen. Aber ich reise lieber in Europa.

Was macht Berlin für Sie so besonders?

Immer noch? Vor allem, dass meine ganze Familie hier ist, meine Kinder und Enkelkinder.

Was gefällt Ihnen an Berlin gar nicht?

Ich habe das Gefühl, dass zu wenig Berliner hier sind. Ich habe gelesen, dass die Hälfte der Berliner außerhalb des S-Bahn-Rings wohnen. Und mittendrin sind nur Schwaben. Die Berliner sind mir von Anfang an ans Herz gewachsen. Schade, dass so viele Berliner verschwinden.

Danke für das Gespräch.

Ina Hegenberger

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