Die Nordsee ist ein grauer Haufen Modderpampe

Hannes Wegener
Interview mit Hannes Wegener

Hannes Wegener, 40, ist in der Filmstadt Babelsberg aufgewachsen und nahm an der Filmhochschule Konrad Wolf Schauspielunterricht. Er spielt für Kino, Fernsehen und Theater und hatte schon internationale Gastrollen bei Wes Anderson („The Grand Budapest Hotel“) und Steven Spielberg („War Horse“). Berliner Leben traf den Schauspieler anlässlich der ARD-Produktion „Die Küstenpiloten“.

Im Fernsehen warst du kürzlich in „Die Küstenpiloten“ zu sehen, am Steuer einer Cessna, um Post auszufliegen und Touristen nach Helgoland zu bringen. Hattest du für die Rolle Flugstunden?

Flugstunden gab es nicht. Aber am Drehort hat mein Double mich unterrichtet, um mir ein Gefühl fürs Fliegen zu vermitteln. Ich durfte am dritten Drehtag die Maschine über die Rollbahn navigieren. Ich bin erst gefahren und dann sogar selbst geflogen, für einen Moment. Die Luft als Straße, eine interessante Erfahrung.

Bei deiner Filmfigur Sönke Hansen ging es ums Heimkommen und um Neuanfang. Hast du mit dem Kommen und Gehen tiefere Erfahrungen?

Ja. Das Thema Rückkehr war für mich der besondere Reiz an der Figur Sönke Hansen. Heimkehr ist ein beinahe universeller Begriff, der ja auch deshalb für alle möglichen Formate von Kurzgeschichte über Theater bis Kinofilm verwendet wird. Was passiert, wenn man aus der Fremde zurückkehrt in seine vertraute Zugehörigkeit? Da prallen Welten aufeinander und nur man selbst weiß, warum man gegangen ist und aus welchen Gründen wieder zurückkehrt. Da bleiben Konflikte nicht aus. Einerseits stellt sich schnell wieder ein Heimatgefühl ein und gleichzeitig kommen eine sagenhafte Leere und eine Aversion auf. Man ist nicht mehr der, als der man gegangen ist, und irgendwie ist man es doch.

In welcher Lebenssituation ist es dir schon so ergangen?

Erstmals vor etwa 20 Jahren nach meiner Zeit als Zivildienstleistender in Israel. Als ich nach 15 Monaten zurück nach Deutschland kam, war das ein Erlebnis zwischen Unbehagen und Freude. Ich denke, so geht es vielen Menschen in unserer globalisierten Welt, die als Expats irgendwo arbeiten, nach einiger Zeit wiederkommen und den Kulturschock rückwärts bewältigen müssen, die also mit Entwurzelung und Neubeginn zu tun haben. Ein spannender Vorgang, der mich sehr interessiert. Ich finde, ein Auslandsaufenthalt mit karitativem Charakter sollte unbedingt zwischen Schule und Ausbildung oder Studium für jeden Heranwachsenden obligatorisch sein.

»Der Charme von Berlin ist diese Mischung aus Platte und Spätklassizismus.«

Du bist in Potsdam aufgewachsen und lebst in Berlin. Für die Küstenpiloten warst du in Büsum und Sankt Peter-Ording. Wie gefällt dir die Nordsee?

Die Nordsee ist für mich ein befremdlicher Flecken Erde, ein grauer Haufen Modderpampe, schroff gesagt (lacht). Entweder sieht man endloses Watt oder ein graugrünes sehr eigenwilliges Meer. – Jedenfalls dort, wo ich war. Aber es gibt Austern dort. Das war dann doch toll und sehr schmackhaft. Dafür liebe ich die Nordsee wieder. Sie hat natürlich auch etwas Wildes und Ungezähmtes.

Bist du im Augenblick mit Dreharbeiten beschäftigt?

Ich drehe gerade „Der Palast“ fürs ZDF, eine sechsteilige Serie. Es geht um den Friedrichstadtpalast in den späten 80er-Jahren, gekoppelt mit einer deutsch-deutschen Familiengeschichte. Erzählt wird das Leben von Zwillingsschwestern, die in Ost und West aufwachsen und sich eines Tages schicksalhaft begegnen. Mikrokosmen prallen aufeinander. Ein spannender Stoff. Und ich darf mich dabei am Saxophon probieren und habe eine ungeahnte Begegnung mit der Liebe ...

Du bist demnächst auch in einer Miniserie zu sehen ...

Ja in „8 Zeugen“ auf TV Now. Ich spiele den Bruder an der Seite von Alexandra Maria Lara und werde mit Erinnerungen konfrontiert, die sich achterbahnartig neu zusammensetzen. Das Besondere dieser Serie ist, dass die gesamte Geschichte innerhalb einer Location spielt und die Handlung sich aus dem Miteinander der Figuren, dem Reden, dem Verbalisieren entwickelt. Die Dialoge sind wie Fechtduelle zwischen den Kontrahenten. Und es ist ein ausgesprochen interessantes Ensemble. Tolle Kollegen, tolle Regie, tolle Kamera.

Kannst du die zwangsweise Schließung von Theatern und Kinos nachvollziehen?

Das war kein gutes Signal von Seiten der Regierung. Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass man versucht, alle etwaigen Quellen der Begegnung zu unterbinden. Für den Kulturbetrieb ist es eine Katastrophe, ein denkbar schlechtes Signal, um durch die Pandemie zu kommen. Es sollten vielmehr Konzepte weiterentwickelt werden, die Betriebe weiter am Laufen halten. Die Kinos zu schließen, in denen sowieso kaum Besucher waren, war keine gute Idee und in meinen Augen ist dies auch schlecht für die Seelengesundheit. Die Restaurants zu schließen, ist dramatisch für viele Leute. Die Diskussion darüber, welche Tätigkeiten systemrelevant sind, wird uns sicher noch lange Zeit beschäftigen und möglicherweise neue Tore aufstoßen. Eines ist klar, Verbot ruft Subversion auf den Plan.

Andere Orte zu besuchen, ist seit der Corona-Krise kaum noch möglich. Viele Menschen deprimiert das. Wie geht es dir damit?

Ich bin gern unterwegs und habe den letzten Sommer in Schweden in der Natur verbracht. Kürzlich war ich für unser familäres Sozialprojekt in einem kleinem Dorf in Mosambik. Wir bereiten dort die Installation einer Solaranlage vor, um die Bedingungen zum Lernen in der örtlichen Schule zu verbessern. Die Initiative geht schon auf meine Großeltern zurück und wird jetzt von meiner Schwester und mir in die nächste Generation überführt.

Hannes Wegener spielt als Sönke Hansen in „Die Küstenpiloten“ den umtriebigen Sohn eines Flugplatzbesitzers. Für den familieneigenen Betrieb soll er darin die Nachfolge antreten
Kinofilm „In deiner Hand“ von Rebeca Ofek mit Hannes Wegener …
… als Vater der 14-jährigen Jessy (Pola Geiger)

Wie wirkt sich die Krise auf deine Arbeit und Auftragslage aus?

Zwei große Produktionen mussten aufgeschoben werden. Es herrscht ein Klima der latenten Ungewissheit. Alle sind bemüht, die Konzepte umzusetzen. Und es gibt einen großen Teamgeist unter den Gewerken, es ist Kampfgeist da, flexibel zu bleiben. Und in dem Moment, wenn es allen ähnlich geht, ist der Druck nicht mehr so groß von wegen: alle arbeiten, ich nicht.

Du bist in Babelsberg aufgewachsen und wurdest an der Hochschule für Film- und Fernsehen zum Schauspieler ausgebildet. War das dein Kindheitswunsch?

Ja. Ich hatte schon sehr früh das Bedürfnis und den Wunsch, mich in andere Welten hineinzuversetzen. Ich habe früh Kindertheater gespielt und erste Erfahrungen vor der Kamera gesammelt. Als ich feststellte, dass ich um vier Uhr morgens immer noch begeistert fürs Fach Darstellendes Spiel Szenen probte, ahnte ich: Das ist dein Ding. Meine größte Leidenschaft sind
Porträts von Charakteren.

Neben vielen Fernsehproduktionen und Bühnenrollen im Maxim Gorki Theater warst Du in Kinofilmen von bekannten Regisseuren wie Andreas Kleinert oder Tom Tykwer zu sehen und hattest internationale Gastauftritte unter Steven Spielberg und Wes Anderson. Hattest du eine Lieblingsrolle?

Ich schätze, das ist die Rolle in meinem zuletzt abgedrehten Film der Regisseurin Rebeca Ofek. Er heißt „In deiner Hand“ und wird hoffentlich dieses Jahr auf echter Leinwand in einem echten Kino Premiere feiern. Es geht in der Geschichte um eine 14-jährige und ihren Vater, die versuchen nach seinem langjährigen Gefängnisaufenthalt wieder eine Beziehung zueinander aufzubauen, die Leere der Zeit dazwischen verschwinden zu lassen und dabei das Dunkel der Vergangenheit zu bändigen. Es war eine sehr intensive schauspielerische Herausforderung, mich der speziellen Vaterfigur zu nähern.

Das Leben in Berlin ist gerade stark eingeschränkt. Die Gastronomie ist geschlossen neben Kinos und Theatern. Wie kommst du im Alltag damit zurecht?

Im europäischen Vergleich sind wir hier nicht sonderlich eingeschränkt. Es ist traurig, aber ich kann damit umgehen.

Hast du Lieblingsorte in der Stadt?

Es gibt ein paar schöne Orte, die trotz und wegen ihrer Hässlichkeit bemerkenswert sind. Zum Beispiel der Fernsehturm. Der Charme von Berlin ist diese Mischung aus Platte und Spätklassizismus. Ich lebe in Prenzlauer Berg. In letzter Zeit finde ich Neukölln reizvoll. Da hat die Stadt noch einen anderen Ton. Ich könnte mal einen Tapetenwechsel gebrauchen. Denn Heimat hat für mich auch immer etwas mit Bewegung zu tun

Danke für das Gespräch.

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