Lange fühlte sich das Leben in Berlin gedämpft an. Doch jetzt ist die
Energie zurück. Ein paar Zeilen Vorfreude auf den Sommer in Berlin
Es war ein Sonntagnachmittag, als die Schwere ganz plötzlich abfiel. Ein Spaziergang im Tiergarten, viele Leute unterwegs zwischen Schloss Bellevue und Haus der Kulturen der Welt. Doch der Ort und auch die Zeit dürften reiner Zufall gewesen sein. Ein bisschen trug vielleicht der Duft des Flieders bei, der süßer und in diesem Jahr etwas früher als sonst in der Luft schwebte. Auch war diese Luft an diesem frühen Apriltag sonnenwärmer als erwartet. Aber allein daran lag es nicht. Es war, als ob die Kruste, die sich vor fast vier Jahren um jede Stunde und jeden Tag gelegt hatte, in diesem Moment aufbrach.
Davor waren die Zeiten hässlich und oft viel zu hoffnungslos. Auch wenn es manchmal erscheint, als läge der ganze Irrwitz des Zuhausebleibens und Selbstdistanzierens schon ewig zurück, wurden die letzten Pandemiemaßnahmen vor gerade mal einem guten Jahr eingestellt. Aber da hatten der plötzliche Abbruch des Alltags, die auf einmal alles bestimmenden, zermürbenden Grundsatzdebatten, die sich pandemisch ausbreitende Überzeugung, dass keine andere Meinung als die eigene noch gelten darf, schon längst schwere Spuren in unserem Alltag hinterlassen. Wie hatte man sich während der Ausgangssperren darauf gefreut, bald wieder im Café zu sitzen, tanzen zu gehen, miteinander feiern zu dürfen. Wie schal hatte sich das alles dann angefühlt. Die Masken waren weg, aber der Zauber irgendwie auch. Was blieb, waren die Zweifel: an großen Gruppen, an Nähe zu Fremden, an verbindenden Gesten wie Umarmen und Händeschütteln, manchmal an den einstigen Freunden. Es fühlte sich an wie nach einem ersten Computerabsturz. Was war das grade? Warum hat das System versagt? Was, wenn das nochmal passiert?
Waren früher die unterschiedlichen Leute in den Bahnen, die vielen Gesichter auf den Straßen, die unbekannten Nachbarinnen und Nachbarn in den Cafés immer auch eine Verheißung, Botschaften aus den vielen aufregenden Parallelwelten, die es um uns herum überall zu entdecken gibt, so waren es jetzt oft bloß noch viel zu viele, erschöpfte, verstörte, griesgrämige, verunsicherte Menschen, die das Gleiche hinter sich hatten wie wir: Zoomkonferenzen statt Kinoabende, Grabenkämpfe statt lebhafter Diskussionen, Demonstrationen statt Feste und Feiern. Das Vertrauen in das Leben, den Frühling, die Kraft einer Gemeinschaft und nicht zuletzt in die Sicherheit, in der wir immer noch leben, schien vernarbt und nicht mehr so stabil und geschmeidig wie davor. Zwar begann man, wieder alles zu machen. Aber oft fehlte die Lust. War keine Energie mehr da, ging man früher nach Hause, rechnete weniger mit schönen Überraschungen und erlebte sie darum auch kaum noch.
Und jetzt war da plötzlich dieser sonnige Nachmittag im April. Für einen kurzen Moment fühlte sich die Welt, die Stadt, diese kleine Straße im Tiergarten wieder neu und strahlend an. Voller Energie, leuchtend und tief, einfach so. Fast so wie damals, als man sie überhaupt zum allerersten Mal sah.
Gründe, diesem Gefühl nicht zu trauen, gibt es weiterhin genügend. An vielen Orten nicht weit von uns ist die Welt komplett aus dem Lot geraten. In fast jeder Straße gibt es Menschen, die die Folgen der Pandemie noch jeden Tag erleben. Das Vertrauen in die Organisation unserer Gesellschaft, in uns selbst als Gemeinschaft hat Schaden genommen. Die Folgen sind noch nicht ausgestanden und neue Probleme sind dazugekommen. Aber noch können wir gegen alle Gefahren etwas tun. Die Sonne scheint jeden Tag länger und wir trauen uns wieder unter Leute. Es ist Frühling geworden – und das ist auch diesmal ein Anfang.