Immer nah dran

Ihren ersten Fernsehauftritt hatte Gesine Cukrowski 1987 als Schwester Irene in „Praxis Bülowbogen“. Seither war sie in mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen und hat an verschiedenen Theatern in deutschen, österreichischen und Schweizer Insze
Interview mit Gesine Cukrowski

Die Schauspielerin Gesine Cukrowski, 45, lebt in Berlin- Schöneberg. Wir treffen sie in ihrem Lieblingscafé „Lenzig“ in der Eisenacher Straße. In Mitte und Prenzlauer Berg gehe sie gern mal aus. Aber „hier stimmt noch die Mischung“, sagt sie und beklagt diesteigenden Mieten in Berlins gefragten Stadtteilen und die damit einhergehende Verdrängung derjenigen, die hohe Preise fürs Wohnen nicht mehr bezahlen können. Populär geworden ist die gebürtige Berlinerin als Gerichtsmedizinerin Judith Sommer, an der Seite von Ulrich Mühe, in der preisgekrönten Krimiserie „Der letzte Zeuge“. Die viel beschäftigte Film- und Bühnendarstellerin ist bodenständig geblieben. Neben Schauspielberuf und Familienleben unterstützt sie das Projekt „Findelbaby“ des Vereins Sternipark, das werdenden Müttern eine anonyme Geburt ermöglicht. 

„Berliner Leben“ im Gespräch mit Gesine Cukrowski, die schon viele Geburten miterlebt und selbst Neugeborene aufgenommen hat.

Sie betreuen werdende Mütter, die ihre Schwangerschaft verheimlichen wollen und eine anonyme Geburt als letzten Ausweg wählen. Was bewegt diese Frauen?

Jeder Fall ist anders und es gibt sehr verschiedene Gründe, warum Frauen in eine solche Notlage geraten, dass sie alles daran setzen, ihre Schwangerschaft zu verbergen. Die Frauen sind im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Jahre alt und nicht zwingend aus sozial schwachen Familien, wie oft vermutet wird. Viele stehen am Beginn ihres Berufslebens. Sie haben Angst, ins Abseits zu rutschen und von Hartz IV leben zu müssen. Bei den jüngeren Frauen spielt oftmals auch die Beziehung zu den eigenen Eltern eine wesentliche Rolle. Sie empfinden ihre Schwangerschaft als unzumutbar.

Wegen einer möglichen Abhängigkeit?

Sie stehen unter Druck, weil sie sich für die Probleme ihre Eltern verantwortlich fühlen. Es hat im Grunde gesellschaftliche Ursachen, weil es zeigt, wie schwierig es für alleinerziehende Mütter hierzulande ist und dass das Netz für diese Frauen nicht ausreicht, wenn die eigene Familie keinen Rückhalt geben kann.

Wie viele Frauen haben sich bisher beim Notruftelefon von Findelbaby gemeldet?

Es gibt in den letzten 13 Jahren in Deutschland ca. 1000 Fälle von anonymen Geburten. Dazu gehören Frauen, die eine Schwangerschaft so sehr verdrängen, dass sie von der Geburt überrascht werden. Andere kaschieren das Kind bis zum Schluss und entbinden es bewusst allein zu Hause. Etwa 500 Frauen haben wir seit Anfang 2000 bei dem Projekt Findelbaby e.V. betreut.

Wie läuft das genau ab?

In der Regel melden sich die Frauen unter den Wehen über unser Notruftelefon (0800 456 07 89). Sie bekommen Panik und entscheiden sich quasi in letzter Minute, Hilfe zu holen. Es gibt auch Ausnahmen, die sich bereits früher während ihrer Schwangerschaft an uns wenden und sich Beratung holen oder in unser Mutter-Kind-Haus kommen, um unbehelligt ihr Kind zur Welt zu bringen.

Wie nah sind Sie selbst an den Frauen dran?

Bei Notrufen in Berlin und Brandenburg begleite ich sie ins Krankenhaus, stehe ihnen bei der Geburt bei und höre als Erste ihre Geschichte. Das ist ein sehr verbindender Moment.

Gesine Cukrowski zählt zu den bekannten Gesichtern im deutschen Fernsehen. Sie lebt mit ihrer 12-jährigen Tochter und ihrem Mann, dem Drehbuchautor Michael Helfrich, in Berlin

Wie ist es möglich, einen   Babybauch bis zuletzt zu verbergen?

Die Bäuche dieser Frauen sind extrem klein. Die Kinder zeigen sich nicht. Das Signal der Mutter ist offenbar so stark, dass die Föten sich regelrecht verstecken. Die Frauen gehen mit großer Geschicklichkeit vor, ihren Zustand zu kaschieren. Im Falle eines 14-jährigen Mädchens hat der Arzt in den ersten 12 Wochen die Schwangerschaft nicht festgestellt, sie entdeckte ihre Schwangerschaft erst im 9. Monat. Es kommt leider vor, dass eine Schwangerschaft vom Arzt übersehen wird.

Die Frauen können bis zu acht Wochen nach der Geburt die Entscheidung treffen, das Kind zur Adoption freizugeben. Was passiert in dieser Zeit?

Nicht nur die Geburt des Kindes wird von uns betreut. Wir kümmern uns engmaschig in den acht Wochen danach um die Mutter und geben ihr die Zeit, sich in Ruhe zu entscheiden. Bei uns kommt das Neugeborene in eine Pflegefamilie, die Mutter kann jederzeit ihr Kind sehen, wenn sie möchte. Das ist natürlich eine andere Situation, als wenn das Kind sofort in eine Adoptionsfamilie vermittelt wird. Bei den von uns betreuten Frauen haben sich am Ende 60 Prozent für ein Leben mit ihrem Kind entschieden. Die anderen Kinder finden liebevolle Adoptiveltern. Fast alle Mütter geben dabei vertraulich oder offen ihre Daten an.

Anonyme Geburt ist immer wieder auch politisches Thema und Babyklappe ist in der Gesellschaft ein Reizwort auch wegen des Wegfallens staatlicher Kontrolle

Was bedauerlich ist, weil die Entscheidung in der Realität am Ende dann doch oft für das Kind ausfällt. Wenn erst einmal das Jugendamt eingeschaltet ist, muss die Frau, wenn sie sich innerhalb der gesetzlichen Frist gegen die Freigabe zur Adoption und doch für ihr Kind entscheidet, um ihr Kind kämpfen und beweisen, dass sie überhaupt in der Lage ist, ein Kind aufzuziehen. Diese Hürden können viel zerstören

Nun liegt ein neues Gesetz vor, das eine vertrauliche Geburt unterstützen soll.


Bei diesem Gesetz geht es in der Hauptsache um das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft, das ganze Ausmaß des Problems insgesamt wird außer Acht gelassen. Jedes Kind hat das Recht auf die eigene Mutter. Seit Gründung der Babyklappe betrifft es gerade mal sechs Prozent von 1000 Fällen, die ihre Anonymität nicht aufgeben wollten. Was hierbei aber zählt, sind die Kinder, die überleben. Bei einer vertraulichen Geburt muss die Mutter nun aber ihre Daten angeben. Das wird in der Praxis nicht funktionieren, denn die Zusage der Anonymität während der Geburt ist der Schlüssel, diese Frauen überhaupt zu erreichen.

Das Thema wird von vielen Vorurteilen beherrscht.

Ja, in der Gesellschaft stehen diese Frauen in ihrer Krisensituation als schlechte
Mütter da. Dabei ist nach unserer Erfahrung das Gegenteil der Fall. Wenn sie zur Ruhe kommen und konkrete Hilfsangebote haben, sind sie am Ende sehr fürsorgliche Mütter, denen man nur die Hand reichen muss.

Wie viel Kapazität bleibt Ihnen dafür zwischen Drehterminen und Bühnenauftritten?

Das ist ganz unterschiedlich und nicht vorherzusagen in unserem Beruf. Es gibt Zeiten, in denen ich hintereinander arbeite und dann kommen wieder Ruhephasen, die mir auch sehr wichtig sind. Ich liebe meinen Beruf, aber die Familie steht an erster Stelle. Und es kommt eben vor, dass wir übergangsweise zu Hause ein Neugebo-renes betreuen, bis es in eine Pflegefamilie kommt.

Danke für das Gespräch.

Ina Hegenberger

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