Ich muss es probieren

Interview mit Heike Feist

Erst spät entschied sich Heike Feist (48) für den Schauspielerberuf. Zurzeit steht die gebürtige Neuruppinerin mit ihrem Soloprogramm „Alle Kassen, auch privat“ in Berlin auf der Bühne. Neben verschiedenen Fernsehrollen spielt sie „Cavewoman“ und widmet sich mit eigenen Theaterstücken humorvoll und geistreich dem Leben und Werk berühmter Autoren. Berliner Leben sprach mit Heike Feist im Café Gagarin in Prenzlauer Berg u.a. über Ärzte und Patienten, die Arbeit des Schauspielers, die eigentlich keine Arbeit ist.

„Alle Kassen, auch privat“ ist ein Kassenerfolg in Berlin. Worum geht es?

Um einen ganz normalen Tag in der Hausarztpraxis von Dr. Annegret Kern. Das Wartezimmer ist übervoll. Frau Doktor kommt reichlich gestresst zur Arbeit, und da tropft es von der Decke. Ein Wasserschaden. Während Arzthelferin Natia sich um den Schaden kümmert, hält Frau Doktor die Patienten bei Laune und erzählt von ihrem Alltag zwischen Sprechstunden, Notdiensten, Budgets und Fortbildungen.

Sie spielen die Ärztin, die Arzthelferin und diverse Nebenrollen selbst und haben gemeinsam mit Ralf Krämer das Stück geschrieben. Was hat sie an diesem Thema gereizt?

Wir sind alle irgendwann in unserem Leben Patient und wissen, Kranksein ist nichts Feines. Ich hatte die Ärztin schon ein paar Jahre in der Schublade. Nach der Aufführung von Cavewoman kam die Theater Mogul Produktion auf mich zu und fragte, ob ich nicht Lust hätte, etwas für sie zu schreiben. Vor allem ging es um die Frage, wie man das Verhältnis Arzt-Patient mit Humor betrachten kann.

Das tun Sie zweifellos. Aus allen Perspektiven. Arzt, Patient, Pharmavertreter, Krankenkasse – alle kommen zu Wort und bekommen auch ihr Fett weg.

Es ist gerade dieser Perspektivwechsel, auf den es mir und meinem Co-Autor Ralf Krämer ankommt. Der Patient fängt an, den Arzt besser zu verstehen, wenn er dessen Arbeitsalltag kennenlernt und umgekehrt. Je mehr man weiß, desto eher kann man Verständnis füreinander entwickeln. Und wenn man darüber lacht, kann man nicht mehr so laut meckern.

Wie haben Sie sich auf das Thema vorbereitet?

Wir haben bei Ärzten, Patienten und im Internet recherchiert und viele Bücher gelesen.

Gab es für Sie verblüffende Erkenntnisse?

Durchaus. Zum Beispiel fühlen sich 85 Prozent der Patienten nicht kompetent behandelt, wenn der Arzt ihnen anstatt einer Überweisung oder eines Rezepts für ein Medikament den Rat erteilt, dass sie ihrem Körper Zeit zur Erholung geben möchten. Das wird in unserer hektischen und schnelllebigen Gesellschaft nicht als ärztliche Behandlung empfunden, denn wir wollen schnellstens wieder topfit sein. Tja, und bekommt man Tabletten verschrieben, die schluckfreundlich ummantelt sind, dann schluckt man im Endeffekt mit den Wirkstoffen auch eine Menge Plastik.

Das ist das Interessante an diesem Abend, man kann nicht nur lachen, sondern bekommt auch eine ganze Menge Informationen und Einsichten mit auf den Weg, über die viele vielleicht noch nicht nachgedacht haben. Was halten Sie, nachdem Sie sich mit vielen Facetten des Ärztealltags befasst haben, von unserem Gesundheitssystem?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass die meisten Ärzte alles geben, um den Patienten zu helfen. Aber durch den vielen Papierkram und die Budgetierung wird ihre Arbeit erschwert.

Haben Sie selbst einen Hausarzt?

Ja. Man braucht aber mehrere Ärzte im Leben, und ich suche so lange, bis ich den richtigen Arzt für mich gefunden habe, einen, der zu mir passt.

Bevor Sie auf der Bühne standen, haben Sie Kindergärtnerin gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wie kamen Sie zur Schauspielerei?

Ich hatte einen eigenen Kinderladen in Kreuzberg, das hat Spaß gemacht. Irgendwann hatte ich das Gefühl, jetzt will ich etwas für mich machen und habe eine Schauspielausbildung am Europäischen Theaterinstitut in Berlin begonnen. Es war nicht so, dass ich unbedingt Schauspielerin werden wollte. Ich wollte etwas Neues ausprobieren, mich weiterentwickeln. Und bei einer Schauspielausbildung lernt man eine ganze Menge über sich selbst.

Sie wollten aber eigentlich keine Schauspielerin werden?

Eine kleine Anekdote aus meiner Anfangszeit als Schauspielerin. Wenn man mich gefragt hat: Was machen Sie beruflich, habe ich geantwortet: Ich spiele. Wo? Am Theater. Ach, Sie sind Schauspielerin. Lange Zeit habe ich mich nicht als eine solche empfunden, weil es nie mein innigster Wunsch war.

Mit 30 haben sie das Schauspielstudium abgeschlossen. Ein biblisches Alter, um in diesen Beruf einzusteigen.

So ähnlich haben das einige gesagt. Ich habe ein Leitmotiv im Leben: Ich muss es probieren. Ich möchte nicht auf der Bahre liegen und mir dann sagen müssen, ich hab’s nicht probiert. Das fände ich schlimm. Und wenn ich mit 31 festgestellt hätte, es wird doch nichts, wäre es auch okay gewesen. Aber ich habe es probiert.

Sie sind eine erfolgreiche Schauspielerin geworden. Sind auf der Bühne in Solo-Projekten als besagte Ärztin, Cavewoman und in Zwei-Personen-Stücken über Ringelnatz, Hildegard von Bingen und Kurt Tucholsky zu erleben. Mögen Sie eine Produktion besonders?

Ich verliebe mich immer in die Rolle, die ich gerade spiele. Bei den Biografie-Stücken über von Bingen, Ringelnatz und Tucholsky kam es mir darauf an, etwas von diesen Persönlichkeiten zu zeigen, das nicht allgemein bekannt ist. Beispielsweise bei Hildegard von Bingen weniger von Heilkräutern und Dinkelbrot zu erzählen, sondern von einer mutigen, unerschrockenen Frau, die auf ihr Bauchgefühl hört. Oder von Ringelnatz, der unter Armut litt und sich trotzdem seine Verspieltheit bewahrt hat. War Tucholsky ein Weiberheld? Oder ein einsamer Mann? Und Cavewoman behandelt das Urthema Mann und Frau. Hier finde ich besonders schön, wenn Paare gemeinsam über etwas lachen, über das sie sonst streiten. Es geht, wie bei „Alle Kassen, auch privat“ um gegenseitiges Verständnis.

Sie spielen auf großen Bühnen. In Film und Fernsehen sind Sie selten prominent besetzt. Ist das ein Widerspruch?

Prominent besetzt werden die Prominenten. Drehen für Film und Fernsehen gehört selbstverständlich zum Beruf. Und das mache ich auch sehr gerne. Aber ich drehe nicht, um prominent zu werden.

Was schätzen Sie an diesem Beruf, den Sie gar nicht so vehement anstrebten?

Dieser Beruf ist ein großes Geschenk, da er eine unglaubliche Vielfalt bietet. Ich entwickle, schreibe und spiele meine eigenen Programme. So kann ich alles ausleben, was der Beruf bietet und werde dafür bezahlt. Außerdem arbeite ich gern, und das Schöne dabei ist, es fühlt sich nicht wie Arbeit an. Dieser Prozess, der letztlich zu einem Bühnen-Ergebnis führt, interessiert mich sehr. Manchmal sage ich zu meinem Co-Autor, wenn wir im Cáfe an einem Stück schreiben, dabei ein bisschen spinnen und lachen: „Hey. Wir arbeiten gerade.“

Sie machen auch noch Hörspielproduktionen – wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Der Hut ist wirklich groß. Aber man entwickelt sich durch die vielfältige Arbeit auch immer weiter. Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, du hast ein eigenes Solo-Stück in Berlin, das du mit einem Co-Autor zusammen geschrieben hast, dann hätte ich demjenigen gelinde gesagt einen Vogel gezeigt. Ich hätte nie gedacht, dass ich eigene Stücke schreibe, hätte nie gedacht, dass ich diese auch noch als Agentin verkaufe. So bin ich der Überzeugung, dass da noch viel kommt. Vielleicht eine Fernseh-Kommissarin? Ich bin gespannt.

Danke für das Gespräch.

Martina Krüger

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