Frauenboxen wird oft von Männern belächelt. Dabei ist der Sport keineswegs nur etwas für harte Kerle. Die 32-jährige Profiboxerin Ikram Kerwat träumt seit frühester Jugend von einer Karriere im Ring. Berliner Leben durfte der gebürtigen Tunesierin beim Pratzentraining zuschauen. Coach Georg Bramowski vom Team Sauerland standen die Schweißperlen auf der Stirn, als er Runde für Runde die donnernden Fäuste seines Schützlings abfing. „Nicht nur anfüttern, schön dranbleiben ...“, kommentierte er den Krafteinsatz der Leichtgewichtlerin.
Wie sind Sie zum Boxsport gekommen?
Ich habe mit neun das erste Mal geboxt und wusste, das ich Boxerin werden will. Angefangen habe ich aber mit Judo. Mit zehn wurde ich Afrikameisterin. Meine Trainingsstätte führte über ein Kasernengelände, auf dem es eine Boxhalle gab. Ich konnte zuschauen, wie die Soldaten beim Seilspringen trainierten, am Sandsack oder bei der Partnerarbeit und war wie gefesselt. Das Taktieren und die Technik haben mich fasziniert. Also habe ich zu Hause gesagt: Mama, ich möchte jetzt boxen!
Wie hat Ihre Mutter reagiert?
„Kommt nicht infrage“, hat sie gesagt.
Und dann?
Habe ich solange gebettelt, bis meine Mutter einer Trainingsstunde zugestimmt hat.
Und damit war es besiegelt?
O nein. Erst mal gab es eine Katastrophe. Meine Trainingspartnerin hat mir sofort die Nase gebrochen. Daraufhin habe ich sie verprügelt und in eine dieser Kisten für Sportutensilien eingesperrt. Das hatte dann natürlich alles ein Nachspiel. Der Trainer kam nach Hause und ich musste mich entschuldigen.
Stört es Sie sehr, dass Frauenboxen noch immer nicht ganz ernst genommen wird, obwohl es seit 2012 olympische Disziplin ist?
Ja. Leider Gottes wird Frauenboxen in Deutschland oft belächelt. Dabei ist vielen Menschen nicht klar, wie viel mehr dahinter steckt. Regina Halmich hat als Erste für eine große Akzeptanz von Frauen im Ring gesorgt, mit dem, was sie geleistet hat. Danach hat es keine Boxerin in Deutschland mehr geschafft, das Frauenboxen so populär zu machen.
Woran liegt das?
Wir brauchen mehr Chancen und Förderung, um überhaupt zeigen zu können, dass wir viel mehr leisten könnten. Mein Ziel ist es, nicht nur im Sport weiterzukommen, ich möchte auch Frauen ein Vorbild sein, damit sie sich nicht so klein machen lassen. Das betrifft ja sämtliche Bereiche im Leben und viele Berufe, in denen Frauen immer noch benachteiligt sind. Sei es, weil sie weniger Lohn bekommen oder weil man ihnen keine Führungspositionen einräumt. Und selbst dort sind Frauen noch immer schlechter bezahlt als Männer. Dabei leisten wir so viel.
Ihre Mutter hat Sie und Ihre zwei älteren Brüder allein großgezogen und Ihnen trotz finanzieller Engpässe vieles ermöglicht, wie den Sport.
Ich bin ein Scheidungskind und komme aus sehr armen Verhältnissen in Tunesien. Meine Mutter hat alles für uns getan. Sie ist 1995 nach Deutschland gekommen und hat uns Kinder ein Jahr später nachgeholt. Man kann sagen, wir sind Wirtschaftsflüchtlinge. Und so schwer es für uns alle war, die gewohnte Umgebung und Heimat zu verlassen, war es das Beste, was uns passieren konnte. Man muss dem Land dankbar sein, dass es einen in einer solchen Situation aufnimmt und die Chance für einen Neuanfang gibt.
Sie haben sich Ihren Kindheitstraum erfüllt. Ist die Faszination immer noch dieselbe?
Heute weiß ich, Boxen ist mehr als körperlicher Kampf. Es ist Charaktersache. Am meisten hat mich das Boxen gelehrt, nicht aufzugeben. Ob beim Training oder im Ring, du bist verletzt, die Arme sind schwer, das Gesicht schwillt an und du musst all das überwinden und weitermachen. Und ich lerne immer wieder etwas über mich selbst dazu.
Haben Sie ein Idol?
Mein großes Vorbild ist Muhammad Ali. Er war der Größte, eine Ikone, nicht nur als Boxer. Vor allem als Persönlichkeit im Kampf gegen Krieg und Rassismus. Dafür hat er seine Lizenz aufs Spiel gesetzt, als er auf dem Höhepunkt seiner Karriere war. Er hatte Kraft, Willen, Ehrgeiz und den Glauben an sich und an Gerechtigkeit. Und Boxen ist für mich die gerechteste Sportart.
Danke für das Gespräch.