Rückenprobleme scheinen ein Fluch der modernen Gesellschaft zu sein. Dabei sind es oft nur Fehlhaltungen, die sich in unser Leben eingeschlichen haben.
Fehlhaltungen im Alltag sind oft der Auslöser für Rückenprobleme: Das fängt schon beim Tragen der Tasche auf immer derselben Schulter an. Auch das Ablegen des Arms auf der Mittelkonsole des Autos kann zu falschen Belastungen führen. Ein noch größeres Problem ist jedoch die eine, immer gleiche, fast zementierte Körperhaltung bei allem, was wir tun: die Sitzhaltung, bei der die Beine angewinkelt sind. Alexandros Swoch, Physiotherapeut mit eigener Praxis und seit Jahren Profi in Sachen Bewegung sagt: „Über fünfzig Prozent des Tages verbringt der Mensch mittlerweile so. Hinzu kommen Fahrwege und das Schlafen in dieser Haltung, denn die beliebteste Position ist auch dort die Seitenschläferhaltung.“ Und was passiert am Abend und am Wochenende? Fernsehserien fesseln uns über Stunden, so dass jede Bewegung wegfällt. Das „Netflix-Syndrom“ nennt Swoch das und sagt: „Das Leben ist spannend, jedoch nicht für unseren Körper.“
Bei einer permanenten Sitzhaltung verkürzt sich der Hüftbeuger bzw. der vordere Hüftmuskel. Gleichzeitig leiert die Gesäßmuskulatur aus und wird geschwächt. Das hat auf Dauer fatale Folgen für den Körper. Da der Beckenbereich die Schnittstelle zwischen Ober- und Unterkörper ist und alles zusammen agiert, können die daraus resultierenden Beschwerden bis zu den Füßen oder in den Hals-, Nackenbereich reichen und zu Kopfschmerzen werden. Das führt wiederum dazu, dass die Bewegungsfähigkeit noch weiter eingeschränkt wird – ein Teufelskreis. Jede Energielosigkeit führt dann zu noch mehr Energieverlust. Außerdem ist den wenigsten bekannt, dass beim starren Sitzen bereits nach ein paar Minuten der Stoffwechsel hinuntergefahren wird. „Fettleibigkeit, Herz- und Kreislaufprobleme sowie Diabetes können die Folge sein“, so Swoch. Bei Beschwerden dieser Art und auch bei Rückenproblemen sollte der erste Gang immer zu einem Arzt führen, um organische Erkrankungen auszuschließen. Danach muss schnellstens ein Training her, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Am besten unter professioneller Anleitung, bei der auch die bewusste Wahrnehmung und Reflexion geschult werden. Denn schnell gedachte Lösungen müssen nicht unbedingt gut sein. Zum Beispiel kann das selbst verordnete Fahrradfahren nur bedingt helfen. Warum? Welche Haltung wird beim Fahrradfahren eingenommen? Die gleiche wie beim Sitzen, Autofahren, Schlafen usw. Es wäre also hilfreich, sich einmal selbst anzuschauen. Was tue ich? Wie tue ich es? Wie ist meine Haltung? Was fällt mir auf? Das ist der Körper-Check, den Swoch empfiehlt. „Es macht Sinn, sich seinen Körper als Firma vorzustellen. Jedes Körperteil steht dabei für eine Abteilung, die Aufmerksamkeit, Anleitung, Motivation und Aufgaben braucht. Wer das beherzigt, für den ist die Richtung klar, um in Zukunft mit seinem Körper zufrieden und hoffentlich bald ohne Rückenschmerzen zu sein“, sagt Swoch.
Gemeint ist dabei die aktive Mitwirkung, indem nicht die Lösung von außen erwartet, sondern gespürt wird, wie der eigene Körper tickt und wo Baustellen und eingefahrene Muster sind. Mehr laufen, richtig laufen, weniger sitzen, besser stehen, auch im Büro. Wer glaubt, ein guter Bürostuhl reicht für die Rückengesundheit, irrt. Auch hier kommt es auf Bewegung an. Doch die meisten Arbeitsplätze sind falsch verstandene Komfortzonen. Drucker, Papierkorb, Akten sind oft in 1,5 Meter Umkreis zu erreichen. Wie Bewegung aussehen kann, machen so manche junge Start-up-Unternehmen vor: Tischtennisplatten, Hängematten, Stand-up-Meetings, höhenverstellbare Tische haben nichts mit Verrücktheit zu tun, sondern mit freier Entfaltung und einem gesunden Arbeitsklima. Im Übrigen gehört die Büroausstattung zu den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers und ist fest in der Arbeitsschutzverordnung verankert. Höhenverstellbare Schreibtische gehören dazu, weil sie den ergonomisch zeitgemäßen Wechsel zwischen stehender und sitzender Arbeitshaltung gewährleisten.
Aber ganz egal, wie die Büros ausgestattet sind, auch hier ist jeder einzelne verantwortlich, sich selbst zu mobilisieren. Swoch empfiehlt dazu einfache Übungen, die an jedem Platz ohne Hilfsmittel und ohne viel Zeitaufwand in den Alltag eingebaut werden können. Zudem lassen sie sich gut merken, weil sie bildlich mit dem Alphabet daherkommen. Das T : Arme zur Seite ausstrecken / Das Y: Arme schräg über den Kopf nach beiden Seiten ausstrecken / Das W: Arme einknicken und Schultern nach unten ziehen / Das L: Ellenbogen an die Taille bringen und die Unterarme nach außen strecken. Außerdem sollten jede Stunde zehn Kniebeugen gemacht werden, die ein Gegenmuster zur Erstarrung erzeugen und den Kreislauf wieder in Schwung bringen. Natürlich nur so tief, wie es geht. Ganz nebenbei kommen dann 100 Kniebeugen am Tag zusammen.
Sebastian Kneipp hat einmal gesagt: „Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern“. Freuen wir uns also, wenn der Parkplatz drei Block weit entfernt ist! Oder noch besser: Alle Strecken, die weniger als eine Stunde entfernt sind, sollten gelaufen werden.