Mythos Berlin – Eine faszinierende Hommage

Palast der Republik fotografiert von Harf Zimmermann im Jahr 2005

Mit der Ausstellung „Berlin, Berlin“ feiert die Helmut Newton Stiftung nicht nur ihr 20 jähriges Jubiläum, sondern richtet ihren fotografischen Blick mit Arbeiten von Helmut Newton und vielen seiner Kolleginnen und Kollegen ganz auf die Stadt, „die dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein.“

Das berühmte Berlin-Zitat von Karl Scheffler könnte als Leitmotiv über der Gruppenausstellung stehen, die im Grunde zweigeteilt ist. Auf der einen Seite etwa einhundert zum Teil unbekanntere Arbeiten von Helmut Newton, allesamt mit Berlinbezug, denn Newton fotografierte immer wieder bis zur Wiedervereinigung in der Stadt. Dem gegenübergestellt sind Arbeiten von 15 Kolleginnen und Kollegen mit ihren ganz eigenen fotografischen Ansätzen. Sie spiegeln nicht nur Newtons Blick auf seine Heimatstadt, sie erweitern und kontextualisieren seine Bilder zu einem Berlinpanorama der Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert. So zumindest will es Matthias Harder, Direktor der Helmut Newton Stiftung und Kurator der Ausstellung, verstanden wissen. Tatsächlich gewinnt man beim Gang durch die Ausstellung den Eindruck, auf einer fotografischen Zeitreise zu sein.

Die beginnt in den 1930er-Jahren, als Helmut Newton, geboren als Helmut Neustädter, in Berlin-Charlottenburg bei der legendären Fotografin Yva eine zweijährige Lehre absolvierte. Die frühen Aufnahmen aus dem dortigen Studio aus dem Jahr 1936 eröffnen die Ausstellung. Als Jude von Deportation bedroht, verlässt er 1938 überstürzt seine Heimatstadt und versucht, in Übersee mit einem eigenen Fotostudio in Australien Fuß zu fassen bzw. an Aufträge zu kommen. Dort lernt er auch seine spätere Frau June kennen, mit der er lange durch Europa reist und für die britische Vogue arbeitet. Erst in Paris Anfang der 1960er-Jahre kommen sein Durchbruch und künstlerischer Erfolg, nachdem er mit seiner Frau auf Einladung der französischen Vogue in die französische Hauptstadt umgezogen war. In Paris findet er seinen unverwechselbaren Stil und avanciert zu einem der innovativsten Modefotografen.

Ab dieser Zeit kehrt er auch regelmäßig nach Berlin zurück, fotografiert für Modemagazine, teils mit damals spektakulären Aufnahmen an der Berliner Mauer und am Brandenburger Tor. Aus den 1970er-Jahren sind in der Ausstellung Modeaufnahmen zu sehen und das mehrseitige Portfolio „Berlin, Berlin!“, dessen Titel für die Jubiläumsausstellung übernommen wurde. In den folgenden Jahrzehnten entstehen Cover-Stories für verschiedene Magazine und zahlreiche Porträts von Berühmtheiten, aber ebenso Architektur- und Landschaftsaufnahmen in und um Berlin. Als guter Schwimmer ist er offensichtlich auch vom Grunewaldsee fasziniert, von dem eine schöne Aufnahme in der Ausstellung zu sehen ist.

Etliche der Berlin-Bilder, die weniger bekannt sind als seine berühmten Mode- und Aktfotografien, hat Helmut Newton noch zu Lebzeiten für seine späteren Ausstellungen ausgewählt. In der aktuellen Jubiläumsausstellung stehen sie nun den teils ikonischen Bildern seiner Kolleginnen und Kollegen in den benachbarten Ausstellungsräumen gegenüber, die ebenso in Berlin zu unterschiedlichen Zeiten tätig waren, Foto- und Filmgeschichte geschrieben haben und deren Bilder der Stadt bis ins frühe 21. Jahrhundert folgen.

Mit den Modebildern von Yva als vintage prints beginnt dieser Teil der Gruppenausstellung, vielleicht als Hommage an Newtons Lehrmeisterin, ohne die sein späteres Werk nicht denkbar ist. Von Jewgeni Chaldei und Hein Gorny sind spektakuläre Aufnahmen aus den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges zu sehen. Arno Fischer, Will McBride und F.C. Gundlach fotografierten im Ost- und Westteil der Stadt, wie sich das Alltagsleben in der Nachkriegszeit wieder normalisiert, und sie konnten noch in ganz Berlin fotografieren. Ab 1961 ist es dann die Berliner Mauer, die immer wieder abgebildet wird, selbst von Fotografen der ostdeutschen Grenztruppen. In Buchform haben Günter Zint und Arwed Messmer hunderte von Fotografien zu den Studentenunruhen ab 1966, zum Schah-Besuch in Westberlin und zum Tod Benno Ohnesorgs zusammengestellt. Arwed Messmer ist es auch zu danken, Berlin um 1950 neu entdecken zu können. Aus historischem Bildmaterial hat er beeindruckende Bildpanoramen rekonstruiert, wie den damaligen Marx-Engels-Platz 1951. Den Zeitgeist der 1980er-Jahre in Ost und West einzufangen, zeigen Aufnahmen von Maria Sewcz und Michael Schmidts, während Wim Wenders mit „Himmel über Berlin“ das Lebensgefühl dieser Zeit auf seine Weise künstlerisch umsetzte. Einige stehende Bilder seines preisgekrönten Films sind in der Ausstellung zu sehen. Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung verändern dann Berlin derart, dass Fotografen wieder ganz neu herausfordert wurden. Als genauer Beobachter durchstreift Ulrich Wüst die Stadt auf beiden Seiten und versammelt seine kleinformatigen Aufnahmen in Leporellos, während sich Thomas Florschuetz und Harf Zimmermann für die großen Veränderungen, die sprichwörtliche Transformation der Stadt interessieren. Ihre großformatigen Arbeiten zeigen Neubau und Abriss gleichermaßen, wie den Umbau des Neuen Museums oder den Abriss des Palastes der Republik. Im letzten Raum schließlich huldigt die Ausstellung der journalistisch-politischen Fotografie mit Barbara Klemms so genannten Bruderkuss zwischen Honecker und Breschnew aus dem Jahr 1979 und Szenen um den ersten Tag der deutschen Einheit 1990.

Mit der Jubiläumsausstellung zeigt die Helmut Newton Stiftung die zweite Gruppenausstellung mit wechselseitigen Bezügen. Dass sie ausschließlich den Blick auf die Stadt Berlin und deren Geschichte richtet, macht sie zur Hommage an Newtons Geburtsstadt und steht einmal mehr für den Mythos Berlin und seine Geschichte, unmittelbar und authentisch aus der Kameraperspektive erzählt.

Reinhard Wahren

Information

Berlin, Berlin
20 Jahre Helmut Newton Stiftung
Bis 16.02.2025 
im Museum für Fotografie
Jebenstraße 2, 10623 Berlin

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