Vera Meyer ist Professorin an der Technischen Universität Berlin und leitet dort das Fachgebiet für Angewandte und Molekulare Mikrobiologie. Zusammen mit dem Architekten Sven Pfeiffer hat sie eine zehnköpfige interdisziplinäre Gruppe gegründet, die sich mit der Zukunft des Bauens beschäftigt. Sie alle treibt die Frage um:
Kann man mit Pilzen bauen?
Vera Meyer ist unterwegs, mit einem großen Rucksack und wetterfestem Schuhwerk. Ihr Begleiter, der Architekt Sven Pfeiffer, zieht einen Handwagen mit dem Arbeitsmaterial der beiden. Beladen mit Platten aus irgendeinem leichten Material, einem Birkenstämmchen, einem Baumpilz. So zeigt die beiden Visionäre ein neuer Film im Futurium Berlin. Das Futurium, das vor knapp zwei Jahren eröffnet wurde, versteht sich als „Haus der Zukünfte“. Hier wird auf vielfältige Weise verhandelt, wie wir in Zukunft leben wollen. In reinen Betonhäusern jedenfalls nicht, da sind sich die Biotechnologin und der Architekt einig.
Die wirkliche Zukunft gehört „grünen“ Baustoffen, so ihre Überzeugung. Hergestellt beispielsweise aus Algen, Bakterien oder eben aus Pilzen. Als erste Ergebnisse sind aus Pilzen und pflanzlichen Abfällen biologisch hergestellte Verbundstoffe entstanden. Leichte vier-, fünf- und sechseckige Platten. Auf den ersten oberflächlichen Blick könnte man sie mit vergilbtem Styropor verwechseln. Aber „das Ziel ist ja gerade eine ökologische Alternative zu Erdölprodukten. Pilze sind nachwachsend und im Sinne der Kreislaufwirtschaft ideal“, sagt Vera Meyer.
Um das Baumaterial herzustellen, wird Pilzmyzel in verschiedenen Arbeitsschritten mit Getreidekörnern, Holzspänen oder Pflanzenstroh vermischt und zum Wachsen gebracht. In einem letzten Schritt beginnt dann der Pilz in einer zuvor hergestellten Form zu wachsen. Unterbricht man durch Trocknung das Wachstum an einem bestimmten Punkt, entsteht dieses spezielle Komposit-Material. Für Vera Meyer ist dazu die Zusammenarbeit mit Architekten spannend: „Mit digitalem Design lassen sich nun ganz neue Möglichkeiten ausloten, was mit diesem eigentlich relativ weichen und porösen Material möglich ist.“ Außerdem seien die Haptik und der Duft ganz andere als bei herkömmlichen Baustoffen. Herausforderungen bleiben jedoch die Festigkeit und Witterungsbeständigkeit. „Eine Idee für stabile Baustoffe ist zum Beispiel, Pilze mit recyceltem Beton zu verbinden. Pilze wachsen gleichsam in den Beton hinein und können somit Betonteile miteinander verbinden“, erklärt Meyer. Der Pilz funktioniere wie ein Kleber, der eben gleichzeitig Dämmstoff sei. Die Wissenschaftlerin sagt, dass es in zehn Jahren die ersten Pilzhäuser geben könnte. Klimawandel und Ressourcenknappheit werden diesen Prozess vorantreiben. Ein erstes Ergebnis auf diesem Weg hat das interdisziplinäre Team jetzt vorgestellt: eine bewohnbare Pilzskulptur. Sie ist innerhalb der Ausstellung tinyBE den ganzen Sommer über in Frankfurt am Main gezeigt worden.
Eine wichtige Vorarbeit hierfür hat an der TU Berlin das Projekt „Mind the Fungi“ geleistet. Unter Vera Meyers Leitung haben von 2018 bis 2020 Wissenschaftler und Studierende mit Künstlerinnen und interessierten Bürgern zusammengearbeitet. Das Ziel war auszuloten, ob es möglich ist, Alltagsgegenstände, die üblicherweise erdölbasiert sind, aus Pilzen herzustellen. Man dachte zum Beispiel an Kleidung, Verpackungsmaterial und Möbel. Besonders charmant war der Gedanke, dass man die Dinge einfach kompostieren kann, wenn man sie nicht mehr braucht.
„Wichtig war uns bei diesem Projekt der Blick über den Tellerrand hinaus. Daher wollten wir sowohl den künstlerischen Blick als auch die Expertise der Citizen Science Community mit einbinden“, so Meyer. Da sie selbst auch künstlerisch arbeitet, ist ihr der kreative Zugang nicht fremd. Wissenschaft und Kunst können sich gut wechselseitig bereichern, das ist ihre feste Überzeugung. Angefangen hat das Projekt im Wald. Auf Exkursionen konnten etwa 100 Pilzarten gesammelt werden. Für 75 von ihnen gelang es, im Labor Reinkulturen zu erzeugen. Das Forscherteam konzentrierte sich dabei auf Baumpilze. Gerade der Zunderschwamm gilt als regelrechter Alleskönner. Dieser hierzulande weit verbreitete Baumpilz kann so viel mehr als Feuer entzünden. Schon in der Steinzeit ist er als Heilpilz verwendet worden. Möbel und Kleidung können daraus hergestellt werden oder eben Baumaterial. „Gerade Baumpilze haben eine erstaunliche Festigkeit. Auf große Exemplare des Zunderschwamms kann sich ein Mensch stellen und der Pilz trägt dessen Körpergewicht ohne Probleme. Das finde ich sehr beeindruckend“, sagt Vera Meyer.