Meine Berliner Großmutter hatte vor einer pastellfarbenen Streifentapete eine grüne Kommode samt Fotoahnengalerie platziert. Dazu gab es einen dreitürigen grünen Kleiderschrank mit einem Spiegel und zwei hölzerne grün gestrichene Betten. Das grüne Schlafzimmer. Es war für die Enkel legendär. Ein Raum zum Verkleiden-Spielen und für Frühstück im Bett, bei dem jeder sein kleines Kännchen aus Porzellan bekam, das Zimmer für Kissenschlachten und mit dem Klingelgeräusch eines kleinen Reiseweckers. Aus dieser Zeit ist noch ein in eine Schranktür eingelassener Spiegel erhalten, er ziert jetzt mit seinem grünen Rahmen eine Wohnung in Prenzlauer Berg.
Zartgrüne Wände waren in den Fünfzigern sehr gefragt und mit Vorliebe im Schlafzimmer, aber auch in Bad und Küche zu finden. Maler fabrizierten Schablonen-Bordüren in Deckenhöhe. Die Farbe Grün, die in der Regel eine beruhigende, harmonisierende und hoffnungsgebende Wirkung hat, fand sich seltener im Wohnraum, es sei denn, in dunklen, satten, verfeinerten Nuancen, verbunden mit Täfelungen und edlen Stoffen, wie Samt und Seide, in eleganten Milieus etwa des Jugendstils und des Art déco. Wände und Samtbezüge von Sofas so tief grün, als bade man im Wald, was ja dazumal noch nicht Waldbaden hieß, aber gern als ausreiten, wandern und spazieren gehen praktiziert wurde.
Grüne Möbel
Ein echter grüner Klassiker ist der „LC7“ von Charlotte Perriand. Den 1927 entworfenen kreisrund gepolsterten Armstuhl auf Stahlrohrbeinen präsentiert der italienische Möbelhersteller Cassina heute als Gartenmöbel in grün. Eleganz pur, so zeigt sich der aus einem Polster- zum Outdoormöbel entwickelte Sessel „Daiki“ aus Edelholz mit grünen Sitzpolstern – im Design des brasilianischen Architekten Marcio Kogan, der von der Schlichtheit japanischen Designs angetan ist.
Für Innenräume gibt es wohl kaum einen rundlicheren Sessel als den armlehnlosen „173“ von freistil/Rolf Benz, der, ob seiner knuffigen Form, gern auch mit Gummibärchen assoziiert wird.
Rund und weich trifft auf grün und beige! Bei dem Label „Objekte unserer Tage“ gibt es das Lümmelsofa „Ola“ in olivgrün. Und wer jetzt durch Wohnmagazine blättert, wird von salbeifarbenen Wänden und einer Fülle an weichen Möbeln überrascht sein.
Grün ist nicht gleich Grün
Bei Muuto nennt sich die Farbe einer textilen Aufbewahrungsbox „Dusty green“. „Sage“ nennt sich die grüne Bettwäsche von Westwing und beim Label AYTM findet sich die Torus Vase Forest im transparent rauchigen Farbspektrum in waldgrün.
Für das sommerliche Leben halten Outdooranbieter Liegen, Tische, Sessel in agave bereit, wie die Gartenstühle der „Star“-Kollektion von Emu, oder in eukalyptus, zum Beispiel die Terrassenmöbelserie „August“. Der Designer Vincent van Duysen entwarf einst diese minimalistischen pulverbeschichteten Tische und Stühle für ein Hotel in Antwerpen und nahm in sein Konzept die ursprüngliche Aura des Ortes, ein ehemaliges Kloster und Militärhospital, auf. Krankenhausgrün, ach ja, das gab es ja auch! Hier ist es schlicht und schön.
Die Erinnerung an den warmwürzigen Duft von Salbei mit seinem pelzigen Silbergrün für außen und innen wird von etlichen Designern und Labels als das Nonplusultra dieses Sommers im Ensemble diverser eher matter Grüntöne thematisiert. Die Farbe Grün bietet hinsichtlich der möglichen Abmischungen und Stufungen eine riesige Nuancenvielfalt von blaugrün bis gelbgrün, von braunoliv bis mint, von weißgrün und silbrig bis hin zu einem moosigen Schwarzgrün. Die helleren Töne gelten als angesagt, weil sie jung und wohltuend, sanft und kombinierfähig mit anderen Pastellfarben sind, sich aber auch mit beige und gold oder mit der warmen Wirkung von purem Holz ideal verbinden lassen, so schilf und beige mit weiß und gold. Eine salbeigrüne Kalkfarbe an der Wand und sandfarbene Textilien, ein Hauch Meeresblau sowie ein pudriges Orangerosa in kleinen Tupfern vermitteln Leichtigkeit und regen zum Träumen an. Ein tiefes Grün mit einem dunklen Violett und orange mag sophisticated sein, aber man ist laut Farbenlehre im Mollbereich der Farbstimmung angekommen.
Mit „Greenery“ hat die Farbenfirma Pantone bereits 2017 die Grünofferte für die Interieurdebatte der letzten Jahre eröffnet. Der Farbton hatte noch einen beachtlichen Gelbanteil und galt dem Frühlingsgrün verwandt. Seitdem gab es diverse Grünerlebnisse und -kombinationen. Das Salbeigrün ist sanfter, eleganter und nuancierter – wie die Blattfärbung der vielen Salbeiarten selbst. Zum anhaltenden Megatrend Natur gehören aber nicht nur die Farbtöne, sondern vor allem auch das Thema Nachhaltigkeit mit Herstellungstechnologien, Anbauprinzipien und fairem Handel. In diesem Jahr galt „Greenplasts“, eine Mailänder Fachmesse, im Mai als das weltweit wichtigste Forum, auf dem alles Erdenkliche an Recyclingraffinesse für Kunststoff- und Gummiproduktion präsentiert wurde. Ein Ergebnis solcher Debatten ist etwa der grüne Outdoorsessel „Reclips“. Er wurde komplett aus recyceltem Haushaltskunststoff hergestellt.
Natur ins Haus holen
Wohlfühlen, das ist ganz stark mit Naturnähe verbunden. Darum sind Holz und Gräser wie auch diverse Naturmaterialien mit ihrer eigenen Schönheit und dem Duft kaum mehr wegzudenken aus urbanen Wohnungen. Filigran wie Gras, ausladend wie Blattpflanzen, pieksig wie Kakteen, rustikal wie Massivholz: Jedes Interieur lässt sich mit den Pflanzen selbst oder mit Material aus der Natur bereichern. Etwas unerwartet ist dennoch die Präsenz von Holz zur Wandverkleidung, als Wiederkehr sichtbarer Balken, als roh belassene Möbel und hölzerne Küchenfronten. Gemütlich freilich ist es allemal. Woher aber kommt das viele Holz?
Wiederum wie aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist die Wertschätzung des Drechslerhandwerks. Was eine Zeit lang mit dem Pelz des Handgewerkelten, des Spießigen aus der Kellerwerkstatt überzogen war und bestenfalls an italienische Pfeffermühlen im XL-Format denken ließ, kommt mit neuen Kreationen und verfeinertem handwerklichen Können inklusive digitalisierter Basis neu daher. Dazu gehören die rundliche Servierschüssel mit hohem Rand aus zertifizierter Eiche von Kay Bojesen für Rosendahl oder die schlichten gedrehten Vasen „Freya“ aus Weißtanne.