Vorratswirtschaft

Ein Revival des altbewährten Duos: Küche mit Speisekammer

Speisekammern sind ein wohnhistorisches Relikt, ein Kleinst­raum als Anhang der Küche mit winzigem Gazefenstern, die vor Fliegen schützen sollten, ein Vorratsraum für Milch und Mehl aus einer anderen Zeit. Aber genau diese Vorratskammern feiern gerade ihr Comeback.

In Speisekammern lagerten, standen und hingen, verborgen vor neugierigen Blicken, geschützt vor Sonnenlicht und kühler als in den Wohnräumen jene guten Dinge, die für Kuchen und Kochtopf bevorratet wurden.

Sie waren einfach praktisch. Und sind es wieder! Zumal wenn es kaum noch Keller gibt in neu erbauten Wohnhäusern oder wenn die offene Küche, der Wohnraum für Familie und Gäste, nicht zugekramt aussehen soll, und erst recht, wenn mehr Motten als Mehl sich bei zu warmer Lagerung in den Tüten tummeln. Speisekammern sind Kleinsträume, die auch Erinnerung und Wohlgefühl erwecken. Nicht zufällig gibt es ein Food-Magazin mit dem Titel „Speisekammer“ oder landauf landab angesagte Gaststätten, die diesen verheißungsvollen Namen gewählt haben, wie das Restaurant „Speisenkammer“ in Burg/Spreewald. Inhaber Marco Giedow, Mitte vierzig, erinnert sich mit Genuss an die Inspektionen der elterlichen Vorratskammer. „Es war der schönste Platz. Hier gab es die Speisen, die für den Sonntag vorgekocht wurden und jene, die bis zum Montag übrig waren. Eine saftige Kohlroulade wurde schon mal vorweg genascht.“ Was gab es sonst? Eingekochte Leberwurst, Gurken natürlich, Schnäpse vor einem Fest – einfach alles. Und heute? Der Restaurantbetreiber muss zugeben, aktuell ist es einfacher mit zwei Kühlschränken.

Die Speisekammern – und das ist ein Konzept, das  bis in die Gegenwart heranreicht – wurden oftmals neuen Raumvorstellungen, modernen Küchen mit Hängeschränken und der Erweiterung des Bades geopfert. Kühlschränke, Kühltruhen und Keller übernahmen jahrzehntelang die Be­vor­ratung, derweil der Bedarf an Großzügigkeit in der Wohnung stetig wuchs. Die Speisekammer galt schlicht als Appendix und konnte weg.

Nun gibt es ein Umdenken, die Wiederkehr der Speisekammer samt Beratung für Lagerhaltungssysteme von Regal bis zu gut verschließbaren Glasgefäßen, vom Weinlager bis zum Gewürzvorrat. Dieser Trend kommt nicht ganz zufällig in die Wohnwelt hineinspaziert. Denn er steht angesichts der minimalistischen Küchen und smarten Kochinseln als Zentralstelle des Wohnens erneut im Raum.Schließlich stellten sich wieder Fragen, wie wohin mit den vielen Dingen und Zutaten, die kochen erst möglich machen? Alles muss verstaut werden und gleichzeitig griffbereit sein. Obendrein – es war noch Coronazeit – gab es die Regierungsempfehlungen für eine zehntägige Bevorratung von Speisen und Wasser. 

Moderne Vorratswirschaft in einem Privathaushalt 2024
Die Vorratskammer eines Lehrlingswohnheims der Caritas von 1958

Die gute alte Speisekammer zeigt sich modern mit mobilen Regalsystemen bis unter die Decke, mit Schwung– und Eckschüben und einer Fülle schöner Boxen und Gefäße. Unverwüstliche, dabei elegante Eichenholzelemente, industriell clean anmutende Edelstahlkonstrukte, weiße MDF-Regale. Natürlich ist auch für diesen speziellen Raum Vielfalt möglich und individuelle Vorlieben können passend zur Küche ausgelebt werden. Essig, Öl, Marmelade, Sirup und Säfte selbstgemacht mit eigens bedruckten Etiketten faszinieren ja ohnehin und damit bestückt schaut die Speisekammer fast so aus, als wolle man sein eigenes „Epicerie“ einrichten. Voilà! Dies stärkt auch das heimelige Gefühl und jeder spontane Gast kann mit zwei Griffen in den wohl sortierten Vorrat gut bekocht werden. Werfen wir einen Blick zurück: eine Küche mit roten Armlehnstuhl, sonst eher beige, und eine Eckspeisekammer in einem Fünziger-Jahre-Wohnblock. Diese Küche mit Kämmerchen  hinterließ intensive Prägungen. Hier residierte die Großmutter und der fünf Regalfächer umfassende Kleinstraum mit Außenwand war ihre ganz persönliche Wunderkammer. Zuoberst lagerten Backzutaten –  Mehl, Mandeln und Rosinen in Tontöpfen und bunten Keksdosen. In der Mitte Wurstkonserven und reichlich Sauerkraut oder Rothkohl, auch Speck und ausgelassenes Schmalz für eine berlinisch-bayrische Kost (im Wechsel versteht sich.) Aber das war alles nichts gegen das Bückfach, das ob seiner Lage mein stattlicher Großvater nie besichtigte, das allein uns, seinen Enkeln und Enkelinnen vorbehalten war. Dieses Fach barg im hinteren und dunklen Teil zahlreiche Dosen gesüßter dicker Kondensmilch zum Auslöffeln oder alternativ besonders fetter Kaffeesahne für sehr spezielle Kakaozubereitungen. Zuckerangst gab es damals nicht, weil ein Übermaß an Zucker noch nicht auf der Tagesordnung stand.

Soweit so schön! Weniger schön aber ist der Gedanke an das Sauberhalten der früheren lichtlosen „Gemischtwarenläden“, als die man die Speisekammern auch bezeichnen konnte. Denn einige Töpfe, Siebe und besonders große Keramikschüsseln fanden neben den Lebensmitteln häufig dort auch ihren Platz. Da war die funktional strukturierte Küche mit ihren leicht abzuwischenden Türfronten, ihrer modernen Handhabung sowie dem zuverlässigen Kühlschrank dann doch eine Erleichterung. Und nun, da die Speisezubereitung in die Mitte des Familienalltags rückt, zumindest räumlich, und Fantasie beim Kochen gefragt ist, das Praktische sich mit dem Minimalistischen verbindet und Sinnlichkeit ebenfalls nicht zu kurz kommen soll, gibt es ein Comeback dieses besonderen Nebenraums. Aber fehlt da nicht noch ein Aspekt? Natürlich: Nachhaltigkeit, Energiespardenken!

Wenn Geräte wie Wasserkocher, Toaster oder Wassersprudler zu schicken und smarten Designobjekten werden und Kühlschränke die Mobilkommunikation steigern, ist das Nachdenken über Speisekammern einmal mehr wert. Sie kann viel und braucht wenig, wenn es möglich ist, die klimatischen Bedingungen einer Wohnung entsprechend zu konzipieren: einen Raum, der dunkel ist und trocken, dessen Temperaturen zwischen fünf Grad Celsius im Winter und siebzehn Grad Celsius im Sommer verbleiben, dessen regelmäßige Belüftung leicht zu handhaben ist und durch den keine Heizungsrohre hindurchführen. Diese Punke benennen Küchenplaner, die sich dem Einbau von Vorratskammern verschrieben haben.
Als Alternativen gelten zumindest in der kühlen und kalten Jahreszeit bislang Balkone, wohin nicht selten Getränkekisten, Gemüse – bei Dezemberfrost auch gelegentlich die Weihnachtsgans – ausgelagert werden.

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