Länger kann man wirklich nicht zuschauen. Jetzt gleich möchte man einen Löffel packen und von oben durch das Saftige, Fruchtige, Sahnige bis hinunter zum knusprigen federleichten Boden durchstechen und die süße Sünde mir nichts, dir nichts verschlingen.
Natalia arbeitet im bisher einzigen Pavlova-Café in Berlin, nein in ganz Deutschland, und als hätte alle Welt bloß auf die Pavlova gewartet, strömen die Süßschnäbel seit letztem Herbst von überall her herein, um das verführerische Dessert zu kosten. „Wow“, rufen sie aus. „Sieht das toll aus! Aber schafft man das? Am besten, wir bestellen erstmal eine Pavlova für Zwei.“ Dabei bleibt es natürlich nicht. Wer einmal eine Pavlova aß...
Den Gästen gehen die Augen über bei soviel fluffiger Pracht, die erst zubereitet wird, wenn man seine Auswahl getroffen hat zwischen dem karamelbraunen Baiser und dem schneeweißen und den verschiedenen verlockenden Tops. Das „Pavlova-Menü“ läßt keine Wünsche offen.
Aber woher kommt überhaupt der Name? Nein, Pavlova heißt nicht die Oma der Inhaberin, wie am Nebentisch vermutet wird. Namensgeber war auch nicht der berühmte Pawlowsche Hund, der dem russischen Mediziner und Nobelpreisträger Pawlow in den 1920er- Jahren für empirische Experimente diente. Alles falsch.
Namensgeberin ist die weltweit umjubelte russische Ballerina Anna Pawlowna Pawlowa (1881-1931), die während einer Welttournee in den Jahren 1926 bis 1929 mehrmals in Australien und Neuseeland gastierte und dort einen derart bleibenden Eindruck hinterließ, daß man gleich ein Dessert nach ihr benannte. Anna Pawlowa gehörte zu den Ballets Russes, einer der berühmtesten Ballettkompanien ihrer Zeit. Sie tanzte das Solo im „Sterbenden Schwan“, und man mag sich vorstellen, wie sie mit ihrem baiserweißen Tutu über die Bühne schwebte und die Australier und Neuseeländer zum Schwärmen brachte.
Seitdem reklamieren sowohl die Australier als auch die Neuseeländer die Erfindung der Pavolva für sich. Die heute achtzig Jahre alte neuseeländische Anthropologin und Food-Spezialistin und inzwischen längst emeritierte Professorin Helen M. Leach inspirierte die zum Dessert gewordene Pavlova 2009 sogar zu dem Buch „The Evolution of a National Dish“. In Australien und Neuseeland gilt die Pavlova nämlich als eines der Nationalgerichte. Dem kann man jetzt in Berlin nachspüren. Diana Lerman, eine gebürtige Estin und herzliche Gastgeberin, die schon in den 1990er-Jahren nach Deutschland kam, führt das Café mit leichter Hand. Aber was ist denn überhaupt eine Pavlova? Die Basis sind tagesfrisch gebackene Baisers verschiedener Größen mit knuspriger Kruste. On Top ruhen beste ungesüßte Schlagsahne sowie Früchte aller Art oder Schokoladiges. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Jeden Morgen, manchmal sogar zwei Mal am Tag, werden die Baisers frisch gebacken. Dann duftet es herrlich im Pavlova-Café. Am Wochenende sind es bis zu hundert Variationen, die Diana Lermans Gäste vernaschen. Manche Pavlovas haben einen Sockel aus bräunlicher Merengue, wie man Baiser auch nennt, andere sind schneeweiß. So viel kann Diana Lerman verraten: Zucker und Eiweiß sind drin, und die Backzeiten variieren. In der karamelfarbenen Variante, die so herrliche Risse hat, ist ein Spritzer Essig.
Die Zuckermischung mit ein paar „geheimen“ Beigaben kommt aus Estlands Hauptstadt Tallinn, wo eine Konditorin die Idee mit einem Pavlova-Café hatte, das längst im litauischen Vilnius und jetzt eben auch in Berlin als Franchise-Unternehmen geführt wird. Erfahrene Mitarbeiter aus Tallinn haben Diana Lermans Mitarbeiter geschult. Für sie war es, als würde sie ein kleines Stück Heimat nach Berlin bringen. Einer Weltkarriere der Pavlova steht eigentlich nichts im Wege. Aber damit die Idee nicht verwässert, sehen die Pavlovas in allen Cafés mehr oder weniger gleich aus. Natalia in Berlin hat wie an allen Morgen schon jede Menge kleine und tortengroße Merengue im Ofen gebacken, denn frisch müssen sie sein, darum knistert es auch so verführerisch, wenn man mit der Gabel hineinsticht. Am besten sind sie, wenn man sie innerhalb eines Tages aufisst, dann haben sie den perfekten Schmelz. Und für alle, die hinsichtlich des Zuckers Vorbehalte haben: So süß sind sie gar nicht! Aber Vorsicht! Wer einmal eine Pavlova isst, kommt immer wieder.
Auf der Speisekarte gibt es zehn Varianten. Man kann sich sowieso nicht entscheiden. Am besten, man probiert sie nacheinander und fängt dann wieder von vorn an. Die Tiramisu-Variante mit Kaffee- und Schoko-Topping ist köstlich; eine andere mit exotischen Früchten wie Passionsfrucht und Mango gibt die perfekte Säure zur Süße. Natürlich wird auch der Dubai-Stil bedient, mit viel Pistazien und ein wenig Blattgold. Dazu kommen die limitierten Pavlovas, auf denen zu Weihnachten Cranberries und Preiselbeeren mit einem Rosmarienzweig dominierten. Zu Ostern werden Schokoladen-Eier in einem Schokoladen-Nest im Baiser versinken, verrät Diana Lerman schon mal, und im Sommer bringt dann der Rhabarber die richtige Säure in die knusprige Süße. Sanddorn-Liebhaber müssen noch bis zum Herbst warten.
Natürlich kann man so eine Pavlova auch zuhause backen. Dazu braucht man allerdings einen gut funktionierenden Backofen und jede Menge Geduld, topfrische Eier, etwas Weissweinessig, sehr feinen Zucker und die richtige Noncholance beim Mixen. Manchen gelingt so eine Pavlova beim ersten Versuch. Andere brauchen mehrere Anläufe. Man sollte es einfach ausprobieren und sich nicht entmutigen lassen.
Dann sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Fein dosiert mit ein paar Tröpfchen Rosenwasser und ebenso wenig grob geschrotetem rosa Pfeffer, gibt das der weißen süßen Pracht die richtige Power. Zur Erdbeerzeit kann man ein paar Früchtchen leicht pürieren und dann damit eine rote Spur durch das noch weiche Eiweiß ziehen. Dann nur noch genießen, zuhause oder im Café.
Information:
Das Pavlova-Café in Berlin,
Kurfürstendamm 210, 10719 Berlin; täglich geöffnet von 10 bis 19.00 Uhr, außer sonntags von 11 bis 18.00 Uhr.
www.pavlova.de