Eine Ausstellung im Museum für Kommunikation über die Kulturtechnik des Fluchens
Der erste Ausruf lässt nicht lange auf sich warten. Sch***, wo, verdammt nochmal, soll jetzt diese Ausstellung sein!? Da ist man erstmal zielstrebig in die oberste Etage des Museums für Kommunikation gestapft, wo oft die aktuellen Schauen sind, auch jetzt. Bloß geht es darin gerade ums Streiten – wir sind aber fürs Fluchen hergekommen. Falsche Ausstellung. Also eine Treppe runter. Auch hier nichts. Unten im Lichthof rollen stoisch und munter die beiden Roboter des Museums herum. Sie haben eine gute Orientierung und keine Gefühle, und müssen darum nicht herumirren und sich ärgern. Ferngesteuerte A***geigen. Also wieder runter ins Erdgeschoss und tatsächlich, ganz hinten am Rand steht schließlich das Informationsschild für die gesuchte Ausstellung: „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“ – jetzt sind wir mitten in der Materie.
Fluchen ist eine Kulturtechnik, die sich seit der Frühzeit der Menschen entwickelt hat. Ihr Ursprung ist das Verwünschen oder eben: Verfluchen. Also der Wunsch, mit Worten – manchmal verstärkt durch rituelle Taten – und mithilfe einer göttlichen oder diabolischen Macht, Unglück auf einen bestimmten Menschen oder seinen Besitz zu lenken. Das Werkzeug des Fluchens ist das Wort. Es bekommt dabei eine verdichtete, ursprünglich sogar magische Bedeutung. Und es wirkt in seiner ursprünglichen Form nur, wenn der Verfluchte davon erfährt. Flüche brauchen ein Medium, um sich zu verbreiten und Wirkung zu entfalten.
Wie das funktioniert, wird am Anfang der Ausstellung anhand des „Fluchs des Pharaos“ durchbuchstabiert: 1827 veröffentlichte die britische Autorin Jane C. Loudon eine Gruselgeschichte mit dem Titel „Die Mumie“. Darin verbreiten wiederauferstandene Mumien Tod und Verderben. Da zu dieser Zeit viele Menschen sowieso vom alten Ägypten und seinen Geheimnissen besessen waren, weckte das allerhand Phantasien. 1922 brach der britische Archäologe Howard Carter in Ägypten dann das Grab des Königs Tutenchamun auf. Kurz darauf starb erst der geliebte Kanarienvogel Carters und bald darauf auch der Financier der Expedition – das Publikum war bereit für das Gerücht vom Fluch des Pharaos: Auf einer – kurz nach Entdeckung verschwundenen – Tafel an dessen Grab sollen nämlich magische Worte gestanden haben, die denjenigen bestrafen, der die Totenruhe des Königs stört.
Eng verbunden mit dem Fluchen und Verfluchen war immer auch die Schmähung und üble Nachrede. Und damit ist der Bogen zum Untertitel der Ausstellung gezogen: vom Fluch des Pharao zur Hate Speech. Denn auch Hate Speech verbreitet sich über Worte, die ihre Macht dadurch bekommen, dass Hunderte, Tausende oder Millionen von ihnen erfahren und den zerstörerischen Inhalt ihrerseits weitergeben. Dazu sind in Zeiten von Massenmedien keine mächtigen Götter oder Mächte aus dem Jenseits mehr nötig, die man zum Schaden anderer anruft. Die monströsen Echokammern des Internets und die Sozialen Medien selbst sind das Werkzeug, mit dem heute digitale Hexenjagden veranstaltet werden und wo Menschen zum Ziel eines Fluches werden, indem etwa ihr Ruf gezielt zerstört wird. Hate Speech, das gezielte Verbreiten von destruktiven Aussagen, ist die moderne Form des Verfluchens.
Aber es gibt auch eine harmlose, sozusagen private Seite: das herzhafte Verwenden von Kraftausdrücken, um Dampf abzulassen, auch als Schimpfen bekannt. Das kann, wenn es richtig gemacht wird, die Seele erleichtern und Frust beseitigen. Viele der wirkungsvollsten Beschimpfungen und Flüche haben dabei ihre Wurzeln im gotteslästerlichen Fluch der Vorfahren. Die sind wiederum verwandt mit dem Schwören: In vielen altertümlichen Schwüren steht am Ende eine Selbstverfluchung, sollte man den Eid brechen – man bittet Gott, einen zu bestrafen, falls man sein Wort nicht hält. Da die Anrufung Gottes mit profaner Absicht in der Bibel aber streng verboten ist, wurden solche Formulierungen oft abgeschwächt. Das titelgebende „Potzblitz!“ ist eine Abmilderung von „Gottes Blitz soll dich treffen!“ und zeigt, wie auf der Ebene der Worte die Kraft der bösen Wünsche gezähmt werden muss, weil wir sie sonst als zu mächtig fürchten. Kraft- und Fluchworte in der Öffentlichkeit werden auch heute noch kontrolliert – wer sich nicht zusammennimmt, kann für das gezielte Beschimpfen anderer verklagt werden – oder sich, zum Beispiel im Straßenverkehr eine Buße in Form einer Geldstrafe einfangen.
Wie kreativ und lustvoll fluchen sein kann, zeigt die kleine, aber sehr unterhaltsame und vielfältige Ausstellung in praktischen Beispielen. Ein Highlight ist die Station mit den Ausschnitten aus Filmen und TV-Shows, in denen besonders herzhaft vom Leder gezogen wird. Unter anderem bezaubert die amerikanische Schauspielerin Jennifer Lawrence mit einem Fluchmarathon für wohltätige Zwecke – ganz amerikanisch stilgerecht sind dabei die meisten Wörter verpiept. Trotzdem bleibt kein Zweifel, dass die Schauspielerin eine Weltklasseflucherin ist. Und man lernt auch, wie blumig, erfinderisch und unter jede Gürtellinie zielend in anderen Sprachen und Kulturen geflucht wird. Eines haben dabei fast alle vorgestellten Sprachen gemeinsam: Richtig befreiend sind Beschimpfungen und Flüche, wenn sie so vielen dem Angefluchten nahestehende Menschen und Tieren wie möglich auf möglichst fäkale, sexuell eindeutige und auch blutrünstige Weise Schlimmstes androhen. Und auch der deutsche Sprachraum hat seine Meister. Einer der ganz Großen ist der bayerische Kabarettist Gerhard Polt, dessen brillanter Fluchmarathon in seiner Nummer „Longline“ ein Klassiker und natürlich auch in der Ausstellung vertreten ist.
„Potz! Blitz!“ ist eine Co-Produktion der Museen für Kommunikation in Berlin, Frankfurt und Nürnberg und wurde von dem Hamburger Autor und Literaturwissenschaftler Rolf-Bernhard Essig kuratiert. Dieser muss selbst ein lustvoller Flucher sein, denn die Ausstellung handelt Technik und Mechanik des Schimpfens und Fluchens augenzwinkernd und ohne zuviel unnötige Prüderie ab. Dabei ist sie kulturgeschichtlich informativ und geht durchaus in die Tiefe. Etwa, wenn es um das Geschehen im Hirn geht – beim Fluchen und beim Verfluchtwerden. Quintessenz: Gutes Fluchen kommt von Herzen, unterläuft die Zensurregionen des Gehirns und bringt Befreiung – aber nur dann, wenn man es aufrichtig von Angesicht zu Angesicht tut, und nicht als feiger Lurch an der Tastatur anonyme Hate Speech verbreitet. Fluchen ist mächtig. Und es ist sehr viel besser als Kämpfen. Das zeigt diese Ausstellung verdammt nochmal richtig gut.