Schwanenwerder war einst der Wohnort der Berliner Millionäre und ist noch immer eine der gefragtesten Adressen im Südwesten der Stadt.
Fast jeder kennt die Aufforderung „Rücke vor bis zur Schlossallee“ im Monopoly-Spiel. Sie katapultiert einen auf die teuerste Straße des Spielfeldes und wenn sie einem nicht gehört, muss man so viel Miete zahlen, dass es direkt in die Insolvenz führen kann. Als das amerikanische Gesellschaftsspiel in Deutschland eingeführt wurde, gab es noch keine Schloss-Allee. Die teuerste Straße hieß damals Schwanenwerder, respektive Inselstraße. Denn die kleine, feine Insel in der Havel am Ausgang des Großen Wannsees galt und gilt – als allererste Adresse in Berlin-Zehlendorf. Die Geschichte des Eilands steckt voller Höhen und Tiefen.
Die Idee, die wüste Havel-Insel zu einem noblen Wohnort zu machen, stammte von dem Berliner Unternehmer Wilhelm Wessel, der den sandigen Fleck in den 1880er-Jahren einem Gutsbesitzer abkaufte, um daraus ein Villen-Viertel zu entwickeln. Zunächst musste er eine hölzerne Brücke zum Festland, eine ringförmige Erschließungsstraße und eine üppige Bepflanzung vorfinanzieren.
Um die geplante exklusive Villenkolonie der Gründerzeit zusätzlich attraktiv zu machen, wurde das Terrain aufgeschüttet und in der Mitte ein Park angelegt. Wessel ließ sogar ein Fassaden-Fragment aus dem Pariser Tuilerien Schloss auf seiner Insel aufstellen, um eine Sichtachse in die Havellandschaft in die romantische Inszenierung Natur miteinzubeziehen.
Der Absatz der Parzellen verlief dennoch zu Beginn schleppend. Für den Bau seiner eigenen Villa Schwanenhof nutzte der Unternehmer ein Grundstück ohne Zugang zum Ufer. Um den Charakter der Abgeschiedenheit auf Schwanenwerder zu bewahren, war der Bau von Ausflugs-Gaststätten oder Sanatorien verboten. Die Erschließung der Insel verbesserte sich dramatisch mit dem Bau der Wannseebahn 1902, die eine Alternative zu den zeitraubenden Kutschfahrten nach Berlin bot. Den beiden Söhnen des Initiators, Franz und Hermann Wessel, gelang es nun viel besser, die Grundstücke teuer an Industrielle zu verkaufen, die dort ihre Sommer-Residenzen bauen wollten. Um die Jahrhundertwende herum begann der Bau der ersten Pracht-Villen. Bis Mitte der 1930er-Jahre wohnten 15 Familien auf der Insel. Mit den Hausangestellten hatte Schwanenwerder 80 Bewohner.
Die reichen Besitzer der bis zu 30 000 Quadratmeter großen Parzellen engagierten die besten Architekten ihrer Zeit: Alfred Breslauer und Paul Salinger beispielsweise, die mit ihren Villen-Entwürfen schon begonnen hatten, den Historismus zu überwinden. Warenhausbesitzer wie Rudolph Karstadt oder Berthold Israel fanden auf der Insel Schwanenwerder bald ebenso ein Refugium wie Bankiers, vorwiegend aus dem jüdisch-großbürgerlichen Milieu. Fabrikbesitzer, Verleger, Mediziner und Juristen machten das soziale Umfeld auf der Insel komplett. Die größte Villa ließ sich der Besitzer der Schultheiss-Brauerei errichten: Der berühmte Berliner Architekt Bruno Paul baute für Walter Sobernheim 1912 die mondäne „Villa Waltrud“ mit 32 Zimmern inklusive aller Inneneinrichtungen und modernen Möbel.
Das Dolce Vita auf der Insel nahm ein jähes Ende, nachdem die NSDAP in Deutschland an die Macht gekommen war und begann, mit Zwangsverkäufen viele Bewohner zu vertreiben und zu entrechten, wenn sie jüdischer Herkunft waren. Prominente Nationalsozialisten, allen voran Joseph Goebbels, wollten auf der Insel wohnen. Der spätere Propagandaminister kaufte schon 1935 – zu einem niedrigen Preis – dem Bankdirektor Oscar Schlitter dessen Wasser-Grundstück in bester Lage ab. Obwohl die Parzelle riesig war und Goebbels noch andere Wohnsitze hatte, kaufte er später das nördliche Nachbargrundstück noch dazu. Sein neuer Nachbar, der Schauspieler Gustav Fröhlich, hingegen zog fort von der Insel Schwanenwerder, nachdem Goebbels eine Affaire mit dessen Freundin angefangen hatte. Auf Fröhlich folgte Albert Speer. Auch Hitlers Leibarzt, Theo Morell, wohnte auf Schwanenwerder und selbst Hitler sollte auf der Insel einen Berliner Wohnsitz bekommen und für Herman Göring wurde ein Luftschutzbunker gebaut – aus dem noblen Wohnort der Berliner Millionäre war die bevorzugte Adresse der Berliner Polit-Prominenz geworden. Im Jahr 1938 trat die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ in Kraft. Viele Emigranten mussten eine überhöhte „Reichsfluchtsteuer“ zahlen und wurden sukzessive von der NS-Elite ersetzt, die bereits 1939 ein Drittel der Grundstücke „arisiert“ hatte und die Insel vereinnahmte.
Mit Kriegsende 1945 ging Schwanenwerder an die amerikanische Verwaltung, die die Grundstücke treuhänderisch hielt – bis zu einer möglichen Restitution. Viele Villen standen damals leer. Die Amerikaner nutzten nur die Villa von Sobernheim, in der Eisenhower seine Nächte als Gast in Berlin verbrachte, gefolgt von Lucius Clay, dem „Vater der Berliner Luftbrücke“. Viele Familien, denen die Grundstücke einst gehörten, verkauften ihre Immobilien an das Land Berlin, die daraus Erholunsgsorte für Westberliner Kinder und Jugendliche machte. Nur die Villa Waltrud wurde von den Amerikanern genutzt, die darin ihren Beitrag zu Stalins Potsdamer Konferenz vorbereiteten. Erst 1971 wurde diese Schmuck-Villa abgerissen. Die Gärten verwilderten, andere Häuser verfielen. Das Landhaus Mosler hingegen hatte die evangelische Kirche 1947 erworben und betreibt in dem Haus bis heute eine Tagungsstätte. Fünf große Grundstücke nutzte der Senat zur Kinder und Jugenderholung. Der Verleger Axel Springer ließ in den 1960er-Jahren auf der Insel einen Neubau errichten, ebenso wie das „Aspen Institute“, das auf Goebbels Anwesen einen geschichtsträchtigen Ort für politisches Denken fand. Heute ist von den baulichen Zeugnissen der Erbauer-Generation ebenso wenig zu erkennen wie von der Überformung der Substanz zur Zeit des Nationalsozialismus’.
Obwohl viele Villen abgerissen wurden, kamen auch interessante Neubauten hinzu: das postmoderne Tagungszentrum der Firma Würth beispielsweise oder eine riesige Villa, die wie ein weißer Schlitten das Ufer besetzt, die das Berliner Architekturbüro Graft entworfen hat.
Mit der Versteigerung einiger ungenutzter Seegrundstücke durch den Berliner Liegenschafts-Fonds ist der Weg für den Bau weiterer spektakulärer Neubau-Villen frei gemacht worden. In einigen Jahren könnte die vom „Staub“ befreite Insel wieder zu einem gefragten Bau-Platz für die Villen der Multi-Millionäre zählen.