Es sind traurige Bilder. Tote Fische treiben an der Wasseroberfläche der Oder. Tonnenweise verendete Tiere wurden Ende August aus dem deutsch-polnischem Grenzfluss geborgen. Über die Ursache, die diese ökologische Katastrophe ausgelöst hat, wird bis zu diesm Zeitpunkt gerätselt. Auf polnischer Seite eingeleitete Giftstoffe wurden als eine mögliche Ursache für das massive Fischsterben ausgemacht. Ein hoher Salzgehalt, hohe Temperaturen und Niedrigwasser sowie eine spezielle Algenart werden als Verursacher genannt. „Für die Oder als ökologisch wertvolles Gewässer ist das ein Schlag, von dem sie sich mehrere Jahre vermutlich nicht mehr erholen wird“, sagt Umweltminister Axel Vogel. Menschen werden vor einem direkten Kontakt mit dem Flusswasser gewarnt, und der Landkreis Märkisch-Oderland hat aus Sicherheitsgründen die Pumpen stillgelegt, die normalerweise Wasser aus der Oder ins Oderbruch pumpen.
Erste Auswirkungen auf den Tourismus sind zu vermelden. Bei aller Verunsicherung gibt es auch viel Anteilnahme und große Solidarität. Dieser Beitrag stellt das Oderbruch als europäisches Kulturerbe vor und macht auf seinen besonderen Schutzstatus aufmerksam.
Als trockengelegtes ehemaliges Binnendelta erstreckt sich das Oderbruch auf deutscher Seite mit über knapp 60 Kilometer Länge zwischen Lebus und Oderberg. Um das Oderbruch in möglichst vielen Facetten zu erleben, bietet sich ein Besuch in Letschin an. Der Ort mit seinen zehn Gemeinden gilt als die heimliche Hauptstadt des Oderbruchs, obwohl er nie Stadtrecht hatte. Letschin ist eines der ältesten Bauerndörfer der Gegend. Das Herz der Gemeinde ist der achteckige Kirchturm, erbaut von Karl Friedrich Schinkel und nach dem Zweiten Weltkrieg übrig geblieben von der einstigen Kirche.
Dem Begründer des Oderbruchs, Friedrich II., wurde 1905 in Letschin ein Denkmal gesetzt. 1945 sollte die Bronzefigur eingeschmolzen werden, aber couragierte Bürger hatten den Alten Fritz hinter Stroh und Gurkenfässern versteckt, so dass er 1990 in der Ortsmitte feierlich wieder aufgestellt werden konnte. Der Preußenkönig hatte Mitte des 18. Jahrhunderts die Trockenlegung der feuchten Niederung veranlasst. Das neu entstandene fruchtbare Ackerland lockte seinerzeit Bauern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz an die Oder. Der Landstrich wurde zum Berliner Gemüsegarten, bis heute.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte siedelten sich viele Künstler im Oderbruch an; günstige Häuser und viel Platz boten ideale Bedingungen. Die gebürtige Rostockerin Antje Scholz zog es 1990 ins Oderbruch. Auf ihrem Hof in Ortwig, einem Letschiner Ortsteil, erschafft sie großformatige Installationen, malt, zeichnet und macht feine Textilkunst. Immer wieder spiegelt sich das Oderbruch in ihren Arbeiten wider. Eine ihrer bekanntesten Installationen ist „Das Gespinst. Eine Anschauung vom Wassersystem im Oderbruch“, das sie 2017 für das Museum Altranft gestaltet hat. Dreidimensional zeigt sie eindrucksvoll, wie die einzelnen Wasserwege, Gräben und Schöpfwerke als Lebensadern des Oderbruchs zusammenlaufen. Ein anderes Kunstwerk von Antje Scholz ist das „Tuch der Heimaten“. Zu sehen ist es in der Patronatskirche Altranft. „Dafür habe ich von Bewohnerinnen und Bewohnern des Oderbruchs kleine Stücke Stoff bekommen, auf die ich ihren früheren Heimatort und das Jahr ihrer Ankunft im Oderbruch gestickt habe. Diese Arbeit vergrößert sich mit jeder Ausstellung“, erklärt die Künst- lerin. Auch ihr Atelier ist in jedem Frühjahr ein beliebter Anlaufpunkt während der „Kunstloosen Tage“. Seit 1999 laden die zahlreichen Künstlerinnen und Künstler des Oderbruchs für ein Wochenende in ihre Gärten und Ateliers ein, zum Schauen und Kaufen. „Diese Aktionen bringen die Menschen zusammen, ob Künstler, Nachbarn oder Gäste aus dem näheren und weiteren Umland“, sagt Antje Scholz, die „Kunstloose Tage” vor mehr als 20 Jahren mit ins Leben gerufen hat. Unter einem „Loos“ versteht man im Oderbruch ein allein liegendes Bauerngehöft mitten in den Feldern. Wer nicht bis zum nächsten Frühjahr warten will, kann den charmanten Kunstmarkt in der alten Fachwerkkirche Wilhelmsaue besuchen. Er wird in diesem Jahr am letzten Oktoberwochenende und im Advent veranstaltet.
Doch nicht nur bildende Künstler kamen ins Bruch. Auch Filmemacher und Schriftsteller ließen sich von der Landschaft inspirieren. So ist es vielleicht kein Zufall, dass die Defa-Langzeit-Dokumentation „Die Kinder von Golzow“ von Winfried und Barbara Junge in einem Oderbruchdorf entstand. Von 1961 bis 2007 wurde in über zweiundvierzig Stunden ganz alltägliches Leben dokumentiert. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass es in Golzow ein Filmmuseum gibt. Und das Projekt lebt sogar weiter mit Nachfolgern der Junges.
Natürlich kann es keinen Ausflug ins Oderbruch geben ohne einen Blick auf den namensgebenden Fluss. In Groß Neuendorf, das ebenfalls zu Letschin gehört, eröffnet sich vom Turmcafé ein großartiges Panorama. 2005 sanierte der Berliner Architekt Jens Plate das Denkmalensemble „Kulturhafen Groß Neuendorf“. Der historische Verladeturm wurde zu einer Ferienwohnung und einem Café mit Ausstellungsmöglichkeiten umgebaut. Am Fuße des Turms lädt zusätzlich das kleine Café „Zum goldenen Klapprad“ zum Verweilen ein. Schließlich führt hier direkt der Oderradweg vorbei.